Eine hinreißende Schwindlerin
Gareths Leben aneignete.
Jetzt sah er wieder einen Hoffnungsschimmer und wollte ihn nicht mehr loslassen. Er wollte sie nicht mehr loslassen.
Gareth hatte nicht an Ned geglaubt. Auch an seine Schwester hatte er nicht richtig geglaubt. Und in diesen Tagen glaubte er eigentlich auch kaum noch an sich selbst. Er hatte nicht daran geglaubt, dass er hier in London ein gewisses Maß an Glück finden konnte. Bevor er Jenny begegnet war, hatten sich seine Tage in die Länge gezogen, leer und eintönig; eine endlose, anstrengende Aneinanderreihung von Pflichten und Verantwortung ohne auch nur die geringste Freude.
Er sehnte sich verzweifelt nach ihrem Segen, nach ihrer Gnade, die sie anderen so freigiebig zuteilwerden ließ.
„Also.“ Er sprach betont leichthin, beinahe scherzhaft, weil er nicht wagte, sich anmerken zu lassen, wie wichtig ihm diese Frage war. „Du schaust meine Schwester an und erkennst in ihr eine starke Frau. In Ned siehst du den ehrbaren Mann. Was aber siehst du in mir?“
Sie passte sich seinem Tonfall an und lächelte. „Eine ganze Reihe höchst verruchter Dinge.“
Aha. Er war also nicht mehr als ein verdammt guter Liebhaber. Gareth schluckte seine grenzenlose Enttäuschung herunter. Ich hatte das ernst gemeint , hätte er am liebsten gerufen. Aber vielleicht hatte sie es ja auch ernst gemeint. Vielleicht hatte sie durch eine Eingebung erkannt, was für ihn immer schon logisch gewesen war – dass er keine Gnade zu erwarten hatte. Einmal hatte sie zu ihm gesagt, er müsse sehr einsam sein. Sie hatte recht gehabt. Mühelos hatte sie hinter seine hochmütige, arrogante Fassade geblickt, mitten hinein in die abgrundtiefe Dunkelheit in ihm, die sich nach Gesellschaft und Freundschaft sehnte.
Vielleicht war das das Einzige, was sie für ihn empfand. Körperliche Anziehungskraft und Mitgefühl. Gareth schloss kurz die Augen und versuchte, zu seiner alten Gelassenheit zurückzufinden. „Was für verruchte Dinge denn?“
Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr und legte ihm die Hand auf den Oberschenkel. Trotz seines Kummers regte sich sein Verlangen, und er schwor sich, all diese Dinge mit ihr zu tun, vielleicht sogar noch mehr. Gleich heute Nacht. Wenn er nur gut genug war, würde sie mehr sehen, als da war, entgegen aller Naturgesetze. Vielleicht konnte er sie dazu bringen, zu glauben, dass er mehr war als ein kalter, zutiefst einsamer Mann.
Doch ihr Lächeln wirkte zu aufgesetzt, ihr Lachen eine Spur zu laut. Auch sie hielt irgendetwas vor ihm zurück. Dann fielen sie ihm ein, die Worte, die sie gesagt hatte – alles, was Sie besitzen, gegen alles, was ich besitze.
Sie hatte in letzter Zeit keine Kunden mehr gehabt.
Andererseits hatte sie ihm erzählt, und dessen war er sich ziemlich sicher, dass sie etwas Geld gespart hätte. Er hatte keinen Gedanken mehr daran verschwendet. Genauso wie er völlig gedankenlos angenommen hatte, sie hätte irgendwo eine Zofe versteckt, die ihr beim Anziehen des Abendkleides behilflich sein konnte.
„Mein Gott, Jenny“, entfuhr es ihm. „Du hast es ernst gemeint, als du sagtest, du könntest die Mietdroschke nicht bezahlen!“
Sie wandte den Blick ab. „Das geht dich nichts an, Gareth.“
„Das geht mich nichts an? Du hast mir doch erzählt, du hättest etwas Geld gespart. Was meintest du damit?“
„Das hatte ich auch“, erwiderte sie steif. „Ich hatte vierhundert Pfund. Sie sind … abhandengekommen.“
Der Kopf tat ihm plötzlich weh. „Zum einen sind vierhundert Pfund nicht die Welt. Ich zahle White mehr in einem Jahr. Und zweitens – warum hast du mir nichts davon gesagt? Was bin ich denn für dich?“
„Auf jeden Fall bist du nicht mein Bankier.“
Er legte die Finger um ihr Handgelenk. „Was kannst du sonst noch nicht bezahlen, Jenny?“
Sie seufzte. „Alles. Es ist gar kein Problem. Ich hatte eine Idee.“
„Dann lass sie mich hören.“
Sie atmete langsam aus. „Ich wollte alles verkaufen, was ich besitze, und fortgehen.“
„Fortgehen.“ Er drückte ihr Handgelenk unwillkürlich fester. „Fort von mir.“
„Fort aus London “, korrigierte sie, als hätte das den grimmigen Schmerz lindern können, der sich in ihm ausbreitete. Unter seinen Fingern spürte er ihren Puls, gleichmäßig und ruhig. Ihr Herz schlug in einem ganz normalen Rhythmus. Natürlich, nur sein eigenes hatte sich zu einem kalten, dunklen Klumpen zusammengezogen.
„Aha. Und mich nebenbei zu verlassen, wäre nur eine weitere, nicht gerade wichtige
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