Eine hinreißende Schwindlerin
Gefechte in seinem Innern aufgehört hatten. Frieden war eingekehrt, doch die Kapitulation hatte keinen Sieger hervorgebracht.
Gareth würde nicht zulassen, dass Jenny ihn in die Knie zwang. Er würde sie dazu bringen, dass sie ihn genauso sehr brauchte wie er sie. Und noch mehr. Sie glaubte, sie könnte ihn so einfach mit einem Abschiedskuss verlassen? Er würde ihr beweisen, ein für alle Mal, dass sie sich irrte.
„Du wirst nicht fortgehen“, grollte er leise in ihr Ohr. „Ich lasse dich nicht gehen.“
Sie schwieg und wandte den Kopf zur Seite.
Er küsste sie aufs Ohr. „Wirst du morgen um zwei noch hier sein?“
Sie nickte stumm.
„Gut. Dann komme ich um die Zeit und hole dich zu einer Ausfahrt ab.“
Er konnte sie nicht gehen lassen. Er würde sie nicht gehen lassen.
Ned hatte in Reiseberichten von Ländern hoch oben im Norden gelesen, wo die Sonne im Winter monatelang nicht aufging. Dafür ging sie dann im Sommer kaum unter. Genauso hatte er sein Leben gesehen. Es zerfiel in zwei Teile – Jahre geradezu euphorischer Hochstimmung, gefolgt von Monaten völliger Dunkelheit. Bis zur vergangenen Nacht waren beide noch nie aufeinandergetroffen.
Doch in der letzten Nacht hatte er beim Kartenspiel einen Funken Hoffnung gewonnen.
Der Duke of Ware wohnte in einer großen Steinvilla in Mayfair. Vier Stockwerke aus massiven Steinblöcken, die früher einmal weiß gewesen, inzwischen aber grau vom Londoner Ruß waren. Die Mauern mündeten in ein steiles Schieferdach mit rechteckigen Mansardenfenstern und rußgeschwärzten Schornsteinen. Das Haus war genauso imposant, wie Ned es sich vorgestellt hatte.
Er atmete tief durch und stieg die Stufen zur Haustür hinauf. Wenn Ned ihn gefragt hätte, wäre Blakely ganz sicher mit ihm gekommen.
Doch Ned wollte sein Leben nicht in die Hände eines anderen legen, nicht noch einmal. Madame Esmeralda hatte ihn angelogen, Blakely hatte ihn gegängelt. Letztlich hatte ihm beides nichts geholfen, die gefürchtete Dunkelheit hatte ihn doch wieder eingeholt.
Und nun wartete er darauf, einen winzigen Schritt nach vorn zu gehen. In der letzten Nacht, als er auf die Spielkarten gestarrt hatte, war ihm eine grundlegende Erkenntnis gekommen. Nicht das Schicksal hatte ihn vor all den Jahren vor dem Selbstmord bewahrt und Madame Esmeralda hatte sich nicht seinetwegen mit Geistern in Verbindung gesetzt. Das ließ nur einen Schluss zu – ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein, musste er sich selbst geholfen haben. Und was ihm einst zufällig gelungen war, konnte er wieder schaffen, ganz bewusst.
Jetzt stand er hier. Ein aufbegehrender Teil von ihm sehnte sich danach, wieder in die mutlose Gleichgültigkeit der letzten Tage versinken zu können. Doch diese Apathie hatte er schon einmal mit Entschlossenheit besiegt, auch wenn diese Entschlossenheit durch Lügen gestärkt worden war. Er konnte ein zweites Mal gewinnen – mit der Wahrheit.
Er betätigte den Türklopfer. Als der steife Butler öffnete, reichte Ned ihm seine Karte. „Ich möchte Lady Kathleen meine Aufwartung machen.“
Der Mann studierte die Karte. Ned hätte es nicht für möglich gehalten, dass der Butler noch steifer werden könnte, aber genau das war der Fall. Mit einer raschen Bewegung schlug er Ned die Tür vor der Nase zu.
Entschlossenheit, ermahnte Ned sich. Entschlossenheit und Stärke. Er wartete. Und wartete. Und wartete.
Fünfzehn Minuten später ging die Tür wieder auf. Der Butler nickte. „Seine Gnaden ist jetzt bereit, Sie zu empfangen.“
„Aber ich wünsche nicht Seine Gnaden zu sprechen“, wandte Ned ein. Seine Gnaden hatte wahrscheinlich schon die Pistolen für diesen Empfang geölt. „Ich wünsche seine Tochter zu sprechen.“
Der Butler zog eine Augenbraue hoch. „ Seine Gnaden wird Sie nun empfangen.“
Ned seufzte und folgte dem Mann. Seine Gnaden wartete im vorderen Salon. Er war in Hemdsärmeln, als hätte er es nicht für nötig befunden, sich für Ned ordentlich anzuziehen. Ein aufgeschlagenes Buch lag auf seinen Knien, und er sah nicht auf, als Ned eintrat, sondern tat so, als würde er weiterlesen. Und dass er nur so tat, war ganz offensichtlich, denn abgesehen davon, dass er nicht umblätterte, sah er mit starrem Blick auf die Seite, ohne mit der Wimper zu zucken. Mit den Fingern umkrallte er den Buchrücken. Genau das Gleiche hätte Blakely auch getan – einen Menschen völlig ignoriert, um ihn in seine Schranken zu weisen.
Unsicher verlagerte Ned das Gewicht von einem
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