Eine hinreißende Schwindlerin
School in Bristol. Die Bäume um sie herum hatten nackte, kahle Äste, als bereiteten sie sich auf den Winter vor, anstatt am Frühling teilzunehmen, der überall sonst schon längst begonnen hatte. Auf den Straßen außerhalb des Schulgeländes lagen ein paar vom Wind herbeigewehte Handzettel, doch niemand wagte offenbar, die strenge Ordnung auf dem Schulhof durcheinanderzubringen. Selbst die Pflastersteine, über die die Kutsche holperte, waren in einem exakten geometrischen Muster verlegt. Diese schrecklich unpersönliche Anlage stellte einen solchen Kontrast dar zu allem, was Gareth über Jenny wusste, dass es ihm unmöglich erschien, hier irgendeine Spur von ihr zu finden.
Er ging zum Haupteingang und überreichte seine Karte dem buckligen Gentleman, der ihm öffnete. Gareth wurde in einen düsteren Salon geführt, dessen gestreifte Tapeten zwar verblichen, aber sauber wirkten. Im Kamin brannte ein schwaches Feuer.
Ein paar Bücher standen auf einem Regal. Gareth betrachtete die Buchrücken. Eine kurze Geschichte westlicher Etikette stand neben Die Rangfolge. Das dünne Bändchen ganz am Ende trug den erhellenden Titel Gabeln, Löffel, Messer und die korrekte Benutzung von Servietten.
Gareth hätte wetten mögen, dass Jenny, seine verschmitzte, lebenssprühende Jenny, nie auch nur einen Fuß in diesen Raum gesetzt hatte.
Hinter ihm ging die Tür auf. Natürlich gab sie kein ordinäres Quietschen von sich, sondern eher ein dezentes Seufzen.
„Lord Blakely. Wie kann ich Ihnen behilflich sein? Was wollen Sie über unsere Schule wissen? Möchten Sie sich vielleicht setzen?“
Die Stimme klang alt. Die Worte waren zwar zu Fragen zusammengefügt, aber der Tonfall hörte sich eher befehlend an. Es war die Stimme einer Frau, die schon so lange junge Mädchen herumkommandiert hatte, dass sie sich gar nicht mehr anders ausdrücken konnte.
Gareth drehte sich um. Die Frau, die vor ihm stand, passte haargenau zu dieser Schule. Nicht eine einzige graue Haarsträhne hatte sich aus ihrer straffen Knotenfrisur gelöst. Ihr farbloses Gesicht bot kaum einen Kontrast zu ihrem langweiligen grauen Kleid. Die Lippen waren nur dünne, gerade Striche, als wäre jeder noch so kleine Schwung eine Beleidigung ihrer Ordentlichkeit.
„Sie müssen Mrs. Davenport sein“, sagte Gareth. „Sie hatten mir geschrieben.“
Sie sah ihn etwas ratlos an.
„Als Antwort auf ein paar Nachforschungen, die mein Verwalter für mich anstellte“, erklärte er. „Ich bin hier wegen Jenny Keeble.“
Mrs. Davenport hielt es sicher für unter ihrer Würde, Gefühle zu zeigen. Aber die Art, wie sie so gar keine Reaktion zeigte – nicht einmal eine Spur von Überraschung, dass ein fremder Mann nach einer Schülerin fragte, die diese Schule vor mehr als einem Jahrzehnt besucht hatte –, war nur allzu aufschlussreich. Es war die Fassade einer im Grunde klatschsüchtigen Frau, die eine skandalöse Geschichte zu erzählen hatte und im Gegenzug ebenfalls einen pikanten Leckerbissen erwartete.
„Gibt es Probleme? Ist Miss Keeble …?“ Mrs. Davenport sprach bewusst nicht zu Ende.
„Tot? Im Gefängnis? Auf der Flucht vor der Polizei?“
Mrs. Davenports Augen wurden bei jeder Möglichkeit, die Gareth aufzählte, größer. Sie strahlte geradezu Zufriedenheit aus.
Er trommelte mit den Fingern gegen sein Hosenbein. „Nein, das ist sie nicht.“
Mrs. Davenports Schultern wirkten plötzlich leicht angespannt. „Nun, dieses Kind hat mir mehr Scherereien gemacht als jedes andere Mädchen in meinen neunundzwanzig Jahren hier an der Schule. Wenn Sie sie kennen, wissen Sie, dass sie eine Vorliebe hat für …“
„Lügen“, kam er ihr hilfsbereit zuvor.
„Unwahrheiten“, schloss Mrs. Davenport. „Unaufrichtigkeit, oft auch, wenn es um Geld ging. Aber Sie scheinen Neuigkeiten von ihr zu haben. Ich wage kaum zu hoffen, dass sie einen ehrlichen Beruf ergriffen hat?“ Mrs. Davenport zog eine perfekt geformte Augenbraue hoch. Verborgen hinter der Kälte ihres abschätzigen Blicks lauerte ein sensationslüsternes Funkeln.
„Mein Gott“, entfuhr es Gareth, „Sie sind wirklich ein Drachen!“
Sie schürzte die Lippen. „Ich darf Sie bitten, Mylord, den Namen unseres Herrn nicht unnötig im Munde zu führen. Hier sind junge Mädchen, und sie werden jedes hässliche Wort, das sie hören, sogleich wiederholen wollen.“
„Ich bin gekommen, um mehr über sie in Erfahrung zu bringen“, sagte er. Früher einmal hatte er sich vorgestellt, sie leichter
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