Eine hinreißende Schwindlerin
Hölle mit dem, was ich gesagt habe.“ Gareth schnippte mit den Fingern. „Geben Sie her.“
White schmunzelte zufrieden und drückte Gareth diese letzte Verbindung zu Jenny in die ausgestreckte Hand.
Sobald feststand, dass Jenny nicht in London bleiben konnte, wurde ihr Leben um einiges leichter. Da sie nicht mehr zu überlegen brauchte, ob sie bleiben oder fortgehen sollte, löste sich ihr Geldproblem wie von selbst. Sie hatte nur ein paar Kleidungsstücke und ein einziges Erinnerungsstück an die vergangenen Wochen zurückbehalten, den größten Teil ihres Hausrats verkaufte sie für neun Pfund. Nur für das sperrige Bett, das Gareth ihr geschickt hatte, bekam sie ansehnliche zweiunddreißig Pfund.
Als der letzte Topf abtransportiert worden war, sah Jenny sich im vorderen Zimmer um. Es war vollkommen leer, bis auf einen einsamen Koffer mit ihrer Kleidung. Ihre Schritte hallten auf dem harten Fußboden.
Ein Großteil ihres Geldes hatte sie bereits wieder ausgegeben: Sie hatte eine billige Passage auf dem Postschiff nach New York gebucht. Es legte in wenigen Tagen ab; danach hatte Jenny gerade noch genug Geld, an ihrem Zielort anzukommen und sich dort häuslich einzurichten. Bis dahin würde sie in Fremdenhäusern unterkommen. Ihr blieb noch eine halbe Stunde, sich von dieser trostlos leeren Wohnung zu verabschieden. Dreißig lange Minuten voller Wehmut.
Nach zwölf Jahren war ihr nichts mehr geblieben. Sie hatte nur noch sich selbst. Dieses kleine, warme Zentrum der Stille war immer noch in ihr, weder Bankangestellte noch Blakely hatten ihm etwas anhaben können.
Jenny stand auf und ging zu ihrem Koffer. Doch noch ehe sie ihn anheben konnte, klopfte jemand energisch an ihre Tür. Nach zwei Jahren kannte sie dieses Klopfen nur zu gut. Ihr Herz begann freudig zu klopfen. Sie eilte zur Tür und riss sie auf. „Mr. Carhart!“
Ned spähte in ihre Wohnung. Eben hatte er noch ernst ausgesehen, jetzt wirkte er ausgesprochen verwirrt. „Sie gehen fort?“
Jenny zuckte die Achseln. „Hier hält mich nichts mehr.“
„Wollen Sie nach Hause zurückkehren?“
Jenny seufzte wehmütig. Nach Hause. Sie hatte nie ein Zuhause oder eine Familie gehabt, nur Lügen und Beschuldigungen. Sie hoffte, dass es irgendwo auf der Welt noch ein Zuhause für sie gab, hier war es jedenfalls nicht. „Nach Cincinnati“, erwiderte sie.
Ned runzelte die Stirn.
„Das liegt in Amerika. Ich habe in einer Auswandererbroschüre darüber gelesen. Bisher hatte ich noch nie davon gehört, also hat es vermutlich auch noch nie von mir gehört, und das ist mir ganz recht so. Ich brauche …“ Sie verstummte. Sie brauchte Beständigkeit, sie sehnte sich geradezu danach. Das ging nur an einem Ort, wo sie den Respekt und das Vertrauen anderer Menschen gewinnen konnte. Sie musste fort aus diesem Käfig, wo Abstammung und Besitz wichtiger waren als Fähigkeiten und Charakter. Hier in London war die Versuchung, Gareth wiederzusehen – den leichteren Weg einzuschlagen und sein Angebot anzunehmen – einfach zu groß.
„Sie brauchen …?“, fragte Ned nach.
„Ich brauche einen Neuanfang“, beendete sie ihren Satz.
Ned nickte, schob die Hände in die Hosentaschen und begann in dem leeren Zimmer auf und ab zu gehen. Schließlich sah er sie an. „Ich heirate in einer Woche.“
„Ich gratuliere Ihnen, Mr. Carhart.“ Sie sah zu Boden. Früher einmal hatten sie über seine Abneigung gegen die Ehe gesprochen. Der Entschluss zu heiraten war ihm mit Sicherheit nicht leichtgefallen. Doch Jenny wusste nicht, ob sie je wieder zu dem unbekümmerten Plauderton zurückfinden würden, der einst zwischen ihnen geherrscht hatte. Daher biss sie sich auf die Lippe und behielt die vielen Fragen, die auf sie einstürmten, für sich. Sie hatte nicht mehr das Recht, sich in seine Angelegenheiten einzumischen. „Ich bin mir sicher, dass Gareth sehr zufrieden ist. Ich hoffe, Sie sind es auch.“
Ned wich erstaunt einen Schritt zurück. „ Blakely ist jetzt also Gareth – und ich bin Mr. Carhart?“
Darauf gab es eigentlich keine Antwort, außer der Wahrheit. „Ja, und ich trage Ihnen hiermit ausdrücklich auf, ihn mit seinem Vornamen anzureden. Jemand muss damit weitermachen, wenn ich fort bin. Wissen Sie, er muss immer wieder daran erinnert werden, dass er mehr ist als einfach nur Lord Blakely, sonst vergisst er es. Und das darf er nicht.“
„Jenny“, unterbrach Ned sie, „ich bin eigentlich gekommen, um Sie zu meiner Hochzeit einzuladen. Keine
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