Eine hinreißende Schwindlerin
„Ich bedauere das alles aufrichtig.“
Als Jenny sich zum Gehen wandte, winkte Mrs. Sevins widerwärtiger Ehemann ihr nach. „Es war mir ein Vergnügen, Miss Keeble!“
Draußen hatte es inzwischen zu stürmen und zu regnen angefangen. Das hatte gerade noch gefehlt.
Gareth zog die Handschuhe aus und betrat sein Arbeitszimmer. Es war noch früh am Nachmittag, dennoch hatte er bereits einen langen Tag hinter sich. Nicht ganz so lang wie die Nacht mit Jenny, aber dem Papierstapel nach zu urteilen, der sich neben White türmte, versprach der Tag noch sehr viel länger zu werden, ohne Aussicht auf etwas Vergnügliches. Dafür würde erst sehr viel später Zeit sein.
White sah auf und nickte. Es war ein freundliches Nicken.
Gareth erwiderte es zögernd. Ausnahmsweise fühlte er sich nicht unbeholfen dabei. Stattdessen fühlte er sich … nun ja, großartig, wenn er ehrlich sein sollte. Er nahm auf dem Stuhl gegenüber von seinem Verwalter Platz.
„Ehe wir anfangen“, meinte White, „da war eine Nachricht vom Duke of Ware, die mir äußerst dringend erschien. Ich habe mir daher erlaubt, der Sache ein wenig nachzugehen und …“ Er verstummte mit offenem Mund mitten im Satz.
Gareth legte seine Handschuhe auf den Schreibtisch. „Stimmt etwas nicht?“
„Nun, Sie scheinen die Angelegenheit schon erledigt zu haben.“
„Welche Angelegenheit? Warum sagen Sie das?“
„Mylord“, platzte White heraus, „Sie lächeln !“ Er zuckte zusammen und wurde rot, als hätte er etwas Ungeheuerliches gesagt.
Gareth hob die Hand an die Wange. Wie merkwürdig, er hatte es gar nicht gemerkt. Er lächelte tatsächlich und er schien überhaupt nicht damit aufhören zu können. Er schüttelte den Kopf. „Also, was will Ware von mir?“
„Er möchte ein Treffen arrangieren – Sie, er selbst und der junge Mr. Carhart. Er hat eine ganze Liste mit verschiedenen Punkten verfasst.“ Er suchte kurz und zog dann einen Briefbogen unter einem Papierstapel hervor. Selbst von seinem Platz aus konnte Gareth die energische Handschrift und die wütend unterstrichenen Worte sehen. „Erstens ist er nicht gewillt, seine Tochter mit einem Mann zu verheiraten, der – nun, ich zitiere wörtlich – ‚so nutzlos und dämlich‘ ist wie Ihr junger Cousin. Des Weiteren scheint Lady Kathleen bekümmert zu sein, weil Mr. Edward Carhart ihr noch nicht seine Aufwartung gemacht hat. Der nächste Punkt …“
Gareth stand auf, schlenderte ans Fenster und sah hinaus. Es hatte angefangen zu regnen, und London hätte grau und düster aussehen müssen, wie immer bei so einem unfreundlichen Wetter. Aber so war es nicht. Auf einer größer werdenden Pfütze entstand durch einen Ölfleck ein silbrig glänzender Regenbogen. Orangefarbene Blumen mit glitzernden Regentropen auf den Blütenblättern leuchteten aus einem Blumenkasten auf der anderen Straßenseite. Trotz der Wolken und des Straßendrecks war London bunter, als Gareth erwartet hatte.
„Und zum Schluss, Mylord, schlägt er vor, Sie drei sollten zusammen nackt auf einer Blumenwiese tanzen, um Ihren guten Willen zu zeigen.“
Erst jetzt wurde Gareth bewusst, dass White schon eine ganze Weile mit ihm gesprochen hatte, und er drehte sich zu ihm um.
Der Mann fächelte sich mit Wares Nachricht Luft zu und sah ihn nachdenklich an. „Sie hören mir gar nicht zu.“
„Ich fürchte, Sie haben recht.“
White legte die Nachricht auf den Tisch und warf einen flüchtigen Blick auf den Stapel von Post neben sich. „Werden Sie mir heute Nachmittag überhaupt noch einmal zuhören?“
Gareth seufzte. Er war dafür verantwortlich, sich alle Beschwerden aus dem gewaltigen Stapel anzuhören, ganz gleich, wie banal sie waren, und eine Lösung für sie zu finden. Und die Angelegenheit zwischen Ned und der Tochter des Dukes war keineswegs banal.
Es war seine Pflicht, sich um Ned zu kümmern. Im Moment jedoch verspürte er nicht die geringste Lust dazu. Wenn er auch nur einen Funken Interesse an Ned gezeigt hätte, wäre er niemals so selbstgerecht mit ihm umgesprungen. Nein, Gareth hatte Ned nicht helfen wollen.
Er hatte gewinnen wollen.
Jenny hatte recht gehabt. Nur weil Ned unbedingt etwas hören wollte, hieß das noch lange nicht, dass man ihn einfach ins offene Messer laufen lassen sollte.
Jenny. Und was hatte sie damit gemeint, als sie am Morgen Lebewohl zu ihm gesagt hatte? Doch gewiss nicht Leb wohl und auf Nimmerwiedersehen. Für ihn war die Sache noch nicht beendet. Und wie unbeholfen er sich
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