Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
stand von ihrem Stuhl auf und legte Bridget eine Hand in den Rücken. Und Agnes – Agnes! – schluchzte. Schluchzte, und ihre Schultern zuckten. Josh reichte ihr sein Taschentuch, und sie putzte sich die Nase. Harrison fragte sich nach dem Grund für Agnes’ Tränen. Freude für Bridget und Bill? Schmerz um Bridget? Eine Hochzeit war ein Akt des Vertrauens, dachte Harrison, diese hier mehr als jede andere.
… Anerkennung des Werts und der Schönheit der Liebe …
Das Geräusch einer Tür, die vorsichtig geöffnet wurde, veranlaßte Harrison, leicht den Kopf zu drehen. Eine junge Frau in weißem Pulli und schwarzem kurzem Rock stand mit einer schwarzen Ledertasche über der Schulter an der Tür. Sie schien verlegen, eine Konzertbesucherin, die den Saal verspätet betreten hatte. Während sie noch dort stand und nach einem freien Platz suchte, erkannte Harrison sie. Melissa. Bills Tochter.
Auch Bill drehte den Kopf (vielleicht hatte er insgeheim noch gehofft) und bemerkte die junge Frau. Harrison sah das Spiel der Emotionen in seinem Gesicht. Ungläubigkeit. Freude. Stolz. Bill gab Bridget ein Zeichen, die daraufhin einen Blick auf die kleine Gästeschar warf. Sie sah die junge Frau, und ein Ausdruck reiner Erleichterung trat in ihr Gesicht.
… schließen Bridget Kennedy Rodgers und William Joseph Ricci den Bund der Ehe …
Der Bräutigam weinte bei der kurzen Feier. Die Braut nicht. Agnes stieß von Zeit zu Zeit Schluchzer aus. Josh hielt die völlig Aufgelöste im Arm und sprach leise auf sie ein. Wer hätte gedacht, daß ausgerechnet Agnes, die immer so beherrscht schien, sich von einer Hochzeit aus der Fassung bringen lassen würde?
Nach einigen Minuten zog Josh seinen Arm von Agnes’Schultern und stellte sich rechts vom Brautpaar auf. Harrison machte sich auf ein Gedicht oder eine feierliche Rede gefaßt. Wessen Idee war das gewesen? Dafür kannte Josh doch Bill und Bridget nicht gut genug. Aber dann vernahm er die ersten Töne eines Baritons von ergreifender Schönheit. Er kannte die Musik nicht. Der Text war italienisch. Es mußte ein Liebeslied sein. Er ahnte plötzlich, daß vor jeder körperlichen Berührung eine Anziehung zwischen Rob und Josh bestanden hatte, die über Sexualität hinausging.
Josh besaß eine tragende Stimme, die fast zu groß war für diesen Raum. Und doch wohnte dem Gesang eine Zartheit inne, die vor allem unsagbare Sehnsucht ausdrückte. Bill schien jetzt gefaßter, und selbst Agnes hatte sich beruhigt. Harrison sah Nora an, die hier einen choreographischen Triumph erzielt hatte. Die schönste und stilvollste Feier, die Harrison je erlebt hatte, nicht halb so lang wie üblich und von Engelsmusik begleitet.
»Gratuliere«, flüsterte er ihr zu.
In einer Anwandlung von Stolz und Zuneigung umschloß Nora Harrisons Hand und zog sie in ihren Schoß. Und in diesem Moment wußte Harrison, daß Evelyn damals bei diesem lang vergessenen und unwichtigen Streit unrecht gehabt hatte. Nichts an ihm – nicht die kleinste Faser – war abgestorben.
Das Zittern hatte draußen vor der Bibliothek begonnen, als die Friedensrichterin, eine Frau, die Bridget nicht kannte, ihr den Ablauf der Trauung erklärte. Im Hintergrund hörte sie gedämpft Robs Präludium. Josh, den sie am vergangenen Abend nur flüchtig begrüßt hatte, sollte zum Abschluß der Feier singen. Rob hatte gesagt, er habe eine sehr schöne Stimme, aber es war nicht auszuschließen, daß Rob voreingenommen war. Bridget hatte schon Hochzeiten erlebt, auf denen Sopranistinnen mit Wackelstimme und Problemen in den Höhenlagen die ganze Feier verdorben hatten.
Matt, der etwas abseits stand, wirkte bedrückt.
»Matt?« fragte sie und überließ es Bill, auf die Anweisungen der Friedensrichterin zu achten.
»Alles cool, Mama?« Matt strich sich einmal schnell und nervös über die Haare.
»Wegen der Feier, meinst du?«
»Überhaupt«, sagte er und sah ihr dabei in die Augen, eine Angewohnheit von ihm, die sie schätzte. Er hatte Freunde, deren Augen sie noch nie gesehen hatte.
»Das hier wird ein Kinderspiel«, sagte Bridget. »Es ist eine Mischung aus Gottesdienst und Theater. Irgend jemand wird sicher weinen. Ich habe Lampenfieber. Und du kannst ganz locker sein. Du hast keinen Text. Du und Brian, ihr braucht nur gerade zu stehen und gut auszusehen. Wie die Wächter in Macbeth . Erinnerst du dich an Macbeth ?«
»Mama!«
»Mach dir keine Sorgen.«
»Aber ich habe die Ringe.«
»Das will ich hoffen«, versetzte
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