Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
Frau nach Ian rufen. Ein Kellner ging um den Tisch und füllte die Weingläser auf. Nora gab ihm diskret Zeichen zu verschwinden.
»Agnes«, sagte Nora endlich.
»Es tut mir leid, Bridget«, sagte Agnes. »Ich hatte mir vorgenommen, das nicht zu tun. Es ist dein Hochzeitsessen, und ich habe es dir verdorben.«
»Du hast gar nichts verdorben«, versicherte Bridget.
Aber das stimmte natürlich nicht. Sie sah es ihnen an. Jerry entschlossen, der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Nora traurig. Harrison verwirrt. Rob bemüht, die Geschichte um Agnes’ willen im besten Licht zu sehen.
»Ich konnte einfach den Gedanken nicht ertragen«, erklärte Agnes, »daß ihr alle nach diesem Wochenende wieder fahren würdet, ohne das von mir zu wissen. Daß auch ich gelebt habe. Anders als die meisten von euch. In Momenten. Aber es waren wunderbare Momente, niemals öde, intensiv empfunden, voller Glück. Wie viele von euch können das über ihr Leben sagen? Ich habe Reichtümer besessen. Ich habe meinen Anteil gehabt. Morgen werden wir uns alle versprechen, uns bald wieder zu treffen, aber dazu wird es nicht kommen. Ich könnte sterben, ohne daß einer von euch es je erfahren hätte. Die arme Agnes, würdet ihr sagen. Eine alte Jungfer.«
»Nein, das hätten wir nicht gesagt«, widersprach Nora.
Als sie einmal angefangen hatte, ihrem Herzen – und ihrem Zorn – Luft zu machen, konnte Agnes nicht mehr aufhören. Noch heute abend oder morgen auf der Heimfahrt nach Maine würde sie sich bei der Erinnerung an diesen Moment vielleicht schämen. Im Augenblick aber war sie nur erleichtert. Ungeheuer erleichtert, das Wichtigste in ihrem Leben nicht mehr verheimlichen zu müssen.
»Aber ihr hättet es gedacht«, sagte sie. »Ihr habt es schon gedacht. Genauso wie du mir während deiner Ehe immer leid getan hast, Nora. Genauso wie ich gern wissen würde, was Harrison quält. Genauso wie ich mich frage, wie das ist, wenn man Krebs hat und trotzdem heiraten möchte.«
»Hör auf, Agnes«, sagte Rob.
Agnes beachtete die Ermahnung nicht. »Warum machen wir uns alle etwas vor? Seit wir uns hier getroffen haben, versuchen wir doch nur krampfhaft, genau die Dinge zu verbergen, die uns am tiefsten berühren. Wir waren einmal die besten Freunde. Jetzt sind wir praktisch Fremde. Ich erwarte nicht, daß ihr mir eure Geheimnisse verratet – ich will es gar nicht. Aber ich führe dieses Doppelleben seit Jahren und habe inzwischen ein Gespür für so was.«
Sie wußte, daß sie zu weit gegangen war, daß sie Menschen verletzt hatte, die sie bewunderte, ja, liebte. Aber sie war nicht bereit, das Gesagte zurückzunehmen. Dazu war es zu spät. Nur eines gab es noch zu sagen, bevor sie aufbrach.
»Wir sind alle so besessen davon«, sagte Agnes und stand auf, »daß wir nicht einmal über das eine gesprochen haben, das uns alle insgeheim beschäftigt. Über diesen Abend am Strand. Das ist auch eine Art Krebs. Wir waren alle dabei. Wir alle haben Stephen gesehen. Wir alle haben zugesehen, wie er sich bis zur Besinnungslosigkeit betrunken hat.«
Nora schob leise ihren Stuhl zurück und stand ebenfalls auf. Agnes sah schweigend zu, als sie hinter den anderen vorbei zu einer Tür ging, die vielleicht zur Küche führte.
»Wir alle hatten Anteil an Stephens Tod«, fügte Agnes hinzu. »Wir wußten, daß er betrunken war, trotzdem haben wir nicht auf ihn aufgepaßt. Wir haben ja nicht einmal gemerkt, daß er weg war. Das ist uns erst aufgefallen, als es zu spät war.«
Sie legte ihre Serviette auf den Tisch. Es hätte ein Fehdehandschuh sein können. »Es war eine wunderschöne Hochzeit, Bridget. Ich meine das ganz ehrlich. Du bist eine tapfere Frau, und ich wünsche dir alles Glück. Viele, viele glückliche Jahre mit Bill.«
Sie sah Harrison an und dann Rob. Sie würde sie nicht wiedersehen. Sie hätte Lebewohl sagen können, aber der Abend war schon dramatisch genug gewesen. Sie schob ihren Stuhl an den Tisch.
Morgen früh würde sie erwachen, ihre orangefarbene Sporttasche packen, in ihr Auto steigen und nach Maine zurückkehren. Es würde eine lange Fahrt werden, und Agnes graute davor. Die Fahrt würde ganz anders sein als die Hinfahrt. Da hatte sie noch ein Leben gehabt. Hoffnung. Jetzt hatte sie nichts mehr.
ALS BILL UND BRIDGET gingen, stand Harrison auf. Er sagte gute Nacht zu Rob, Josh und Jerry, den einzigen, die noch da waren, nachdem Agnes mit ihrer Ansprache und ihrem Abgang den Abend praktisch beendet hatte. Vielleicht würden die
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