Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
Melissa.
Mit gedämpften Gesprächen wurde versucht, den etwas peinlichen Moment des Aufbruchs von Matt, Brian und Melissa zu überbrücken. Janice sagte zu Bridget, sie solle bleiben und den Abend genießen. Rob fragte Harrison, ob er noch ein Glas Wein wolle. Harrison nickte, trank sein Glas aus und reichte es Rob. Ein Publikum, das wartet, daß der Vorhang aufgeht, dachte Agnes.
»Also?« sagte Jerry, als die anderen gegangen waren.
»Ich liebe Jim Mitchell seit der Schulzeit«, antwortete Agnes schlicht.
»Und liebt er dich auch?« fragte Bridget sanft.
»Ja.«
Sie hörte selbst die Anstrengung in ihrer Stimme. Sie hatte starkes Herzklopfen.
»Warum ist es dann nicht wunderbar?« fragte Harrison.
»Er ist verheiratet«, antwortete Agnes. »Er war von Anfang an verheiratet.«
Jerry pfiff. »Von was für einem Zeitraum reden wir?«
»Sechsundzwanzig Jahre.«
Agnes merkte, daß sie schwitzte, unter den Armen und den Rücken hinunter. Sie würde sich das Kleid ruinieren.
»Ach, Agnes«, sagte Nora, und Agnes wußte nicht, ob Nora darüber bekümmert war, daß sie sich ihr nie anvertraut hatte, oder einfach über die Last so vieler Jahre.
»In dem Jahr nach unserem Abschluß bin ich zu Thanksgiving zur Kidd gefahren und habe ihn besucht«, erklärte Agnes. »Es ist eine lange Geschichte, aber am Ende landete ich in der Notaufnahme. Er brachte mich hin. Und in der Nacht sind wir –« Sie brach ab.
»Jim Mitchell«, sagte Rob beinahe mit Ehrfurcht.
»Genau«, bestätigte Agnes.
»Ich erinnere mich an seine Frau«, bemerkte Jerry. »Nicht an ihren Namen, aber sie kam oft zu den Spielen. Sie war ganz niedlich. Zierlich? Brünett?«
Agnes nickte. »Sie heißt Carol.«
»Das ist unglaublich.« Bridget schüttelte langsam den Kopf. »Einfach unglaublich.«
»Ja, es ist wirklich unglaublich«, sagte Agnes.
»Und seine Frau weiß von nichts?« erkundigte sich Jerry.
»Nein, ich glaube nicht«, antwortete Agnes.
»Wie soll das gehen?« fragte Jerry.
»Jim und ich sehen uns nicht so oft. Wir treffen uns ab und zu für eine Nacht oder ein Wochenende in fremden Städten in irgendeinem Hotel.«
»Und das macht dir nichts aus?« fragte Nora, unfähig, ihre Betroffenheit zu verbergen.
»Nein«, sagte Agnes mit Nachdruck. »Das, was ihr habt, will ich gar nicht. Oder gehabt habt. Ich möchte nicht jeden Tag einen Mann in meinem Leben haben. Meine eigene Wohnung und mein eigenes Leben sind mir viel wert. Und wenn Jim und ich uns dann sehen, ist es um so schöner, gerade weil wir getrennt waren.«
»Agnes, das freut mich für dich«, warf Rob ein. »Wenn er dich glücklich macht – meinen Segen hast du. Ich wäre ein Heuchler, wenn es anders wäre.«
»Wenn er dich so sehr liebt«, bemerkte Jerry, »warum hat er dann seine Frau nicht verlassen? Das ist doch ihr gegenüber auch nicht fair.«
Zu aller Überraschung knallte Julie plötzlich ihre Serviette auf den Tisch. »Seit wann interessiert es dich, was fair ist und was nicht?« fragte sie ihren Mann.
»Was?« Jerry war entweder ehrlich verblüfft oder er war ein guter Schauspieler.
»Du Scheißkerl!« Julie stieß ihren Stuhl zurück und stand auf. »Du gemeiner Scheißkerl.« Sie nahm ihre Handtasche und ihre Stola. Agnes sah ihr nach, als sie ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer ging. Jerry ließ sich auf seinem Stuhl zurückfallen. »Du lieber Gott«, sagte er.
»Es spielt keine Rolle mehr«, sagte Agnes ruhig. »Es ist sowieso vorbei.«
»Wieso?« fragte Nora.
»Weil ich euch davon erzählt habe. Ich habe ihm versprochen, es niemals zu erzählen. Und jetzt habe ich es doch getan.«
»Du machst dir Gedanken, daß du ihn verraten hast?« fragte Jerry, der sich schnell vom Abgang seiner Frau erholt hatte. Er schien nicht die Absicht zu haben, ihr zu folgen. »Der Kerl hat dich doch nur benutzt.«
»Nein«, widersprach Agnes. »Das stimmt nicht. Du hast keine Ahnung, Jerry. Halt also einfach die Klappe.«
»Hoppla!« Jerry hob die Hände. »Immer mit der Ruhe.«
»Wir wollen ja nur nicht, daß du verletzt wirst«, sagte Rob.
»Dafür ist es ein bißchen spät, findest du nicht?« entgegnete Agnes schnippisch. Sie hatte Rob gegenüber nicht schnippisch werden wollen.
»Wie meinst du das?« fragte Harrison.
»Ich weiß doch, was ihr alle von mir denkt«, sagte Agnes. »Unsere gute Agnes, die treue Seele. Schade, daß sie nie einen Freund hatte. Nie geheiratet hat. Keine Kinder hat. Ist sie vielleicht lesbisch?«
Aus einem Flur hörte sie eine
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