Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
ihrem Bett lag. »Das ist unglaublich«, sagte sie.
Harrison rückte näher zu ihr, aber sie legte ihm die Hand auf die Brust. »Ich muß wirklich aufstehen.«
»Sollten wir reden?«
»Ja«, sagte sie. »Aber später.«
Sie stand auf und zog ihren Morgenrock über. Sie mußte duschen und sich ankleiden. Harrison beobachtete sie, als sie die Jalousien hochzog. Er bedeckte seine Augen mit dem Arm. Das vom Schnee reflektierte Sonnenlicht war grell.
In seinem Zimmer ging Harrison auf und ab. Er hatte immer noch die Sachen an, die er zur Hochzeitsfeier getragen hatte. Sein Jackett und seine Krawatte hatte er aufs unberührte Bett geworfen. Sein Gesicht fühlte sich rauh an, er wußte, daß er duschen sollte.
Er hatte Nora heute morgen nicht einmal in den Arm genommen. Er hatte sie nicht zum Abschied geküßt. Würden sie so auseinandergehen?
Er setzte sich aufs Bett und starrte zum Fenster hinaus. Er hörte Wasser vom Dach tropfen. Er brauchte unbedingt eine Tasse Kaffe, um einen klaren Kopf zu bekommen. Ob die Maschine in der Bibliothek so früh am Morgen schon betriebsbereit war? Wie spät war es überhaupt? Er sah auf seine Uhr. Fast sieben. Früh für einen Sonntagmorgen. Gab es im Speisesaal schon Kaffee?
Ungewaschen ging er aus dem Zimmer und die Treppe hinunter, um die Bibliothek aufzusuchen. Rundum hörte er die Geräusche des erwachenden Hauses. Stimmen aus einem entfernten Zimmer. Schritte auf hölzernen Dielen. Das Zufallen einer Tür. Im Vestibül beugte sich ein Mann mit einer Tasse Kaffee in der Hand über eine Zeitung, die auf einem niedrigen Tisch ausgebreitet war. Harrison wollte ihn schon fragen, woher er den Kaffee habe, da trat Judy, Noras Assistentin, mit einem Stapel Wäsche in den Flur.
»Guten Morgen«, sagte sie.
»Guten Morgen«, sagte Harrison.
Sie trug das blonde Haar stramm zurückgebunden, und wieder hatte sie Lippenstift an dem vorstehenden Eckzahn. Harrison fragte sich, ob er sie darauf aufmerksam machen sollte.
»Sie sind früh auf«, sagte sie.
… das asymmetrische Lächeln …
»Ja«, sagte er.
»Haben Sie Nora gefunden?«
»Wieso?«
»Gestern abend«, sagte sie, »haben Sie sie doch gesucht.«
»Nein«, log er hastig. »Nein, ich habe sie nicht gefunden. Ich wollte ihr danken, aber sie war wohl schon zu Bett gegangen.«
»Na ja, sie wird bald auf sein«, sagte Judy. »Soll ich ihr sagen, daß Sie sie gesucht haben?«
»Nein, nein, nicht nötig«, versetzte Harrison. »Ich bin ja noch ein Weilchen hier. Da sehen wir uns sicher noch. Eigentlich bin ich auf der Suche nach einer Tasse Kaffe.«
»In der Bibliothek«, sagte Judy. »Ich habe die Maschine gerade gefüllt.«
»Danke«, sagte Harrison. Er ging in Richtung der Bibliothek davon. Aber dann blieb er stehen und bog an der Treppe ab.
Unmöglich, dachte er.
Er hatte den Schlüssel – diesen schweren goldenen Schlüssel – schon aus der Jackentasche gezogen, bevor er an seinem Zimmer war. Drinnen warf er ihn aufs Bett und suchte nach dem Buch, das er am Vortag gekauft hatte. Er hob einen Pullover hoch, der auf dem Schreibtisch lag, und fand den schmalen Band. Er setzte sich aufs Bett und blätterte sofort zu dem Gedicht, das er in der Stadtbibliothek gelesen hatte; das ihn beschäftigt und gequält hatte mit seinen erotischen Bildern. Under the Canted Roof.
Die Frau in dem Gedicht war blond und hatte schlechte Zähne. Gestern war ihm das Wort »Zunge« aufgefallen. Er fand die Zeile wieder: … caressing your tooth with my tongue …
Gewißheit durchzuckte Harrison.
Er las die Zeilen noch einmal, nun sicher, daß Carl Laski von der Frau sprach, die ihm den Salat mit der Fliege serviert hatte, die Frau, der er gerade im Vestibül begegnet war.
… das asymmetrische Lächeln …
Was für eine Grausamkeit von Laski, so ein Gedicht zu schreiben und es dann von Nora tippen zu lassen. Es schließlich auch noch zu veröffentlichen.
Harrison blätterte zum Anfang des Buchs zurück, um das Copyright zu prüfen. 1999. Der Band war postum veröffentlicht worden.
Harrison saß auf dem Bett und dachte nach. Fünf Minuten vergingen. Zehn.
Mit dem Buch in der Hand stand er auf. Er ging zum Fenster und wieder zurück. Er kratzte sich am Kopf. Wie hatte Nora das zulassen können?
Er steckte seinen Schlüssel ein und ging zurück zu Noras Räumen. Er erinnerte sich, daß Nora gesagt hatte, Carl sei ihr nur auf dem Papier untreu gewesen.
Am Ende des Korridors angekommen, sah er, daß Noras Tür geschlossen war.
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