Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
Er hätte einfach öffnen können – gab ihm nicht die letzte Nacht das Recht dazu? –, aber er klopfte.
Nora war im Bademantel, noch naß von der Dusche. Auf dem Bett – ordentlich gemacht, die Laken gnadenlos straff gezogen – lagen ein Büstenhalter und ein Höschen, eine schwarze lange Hose, eine weiße Bluse, schwarze Socken.
Noras Gesicht war rosig, ihr Haar lag glatt um ihren Kopf. Ihre Augenbrauen waren hell, ihre Lippen wirkten nackt.
»Harrison«, sagte sie erstaunt.
»Darf ich hereinkommen?«
»Ich bin – ich bin ein bißchen spät dran«, sagte sie. Aber dann trat sie zurück. »Natürlich.«
Er umarmte sie und küßte sie. Ihr Atem roch nach Zahnpasta. Er ließ sie los und setzte sich auf die Zedernholztruhe am Fußende des Betts. Er hielt das Buch in den Händen und sah, daß ihr Blick darauf fiel. »Ziemlich am Ende ist da ein Gedicht«, sagte er.
Nora sagte nichts.
»Es heißt Under the Canted Roof .«
Sie schob die Hände in die tiefen Taschen des flauschigen Bademantels. Harrison betrachtete ihre hellen Beine unter dem Saum, ihre nackten Füße. Einzig ihre Hände waren rauh, wie er wußte, schwielig von harter Arbeit.
»Ich dachte, du hast mir vielleicht eine Geschichte zu erzählen«, sagte er leise.
Nora ging an ihm vorbei und setzte sich aufs Bett.
»Ich liebe dich«, sagte Harrison. Und störte sich sofort an der Hohlheit der Worte – süßlich und abgedroschen, Grußkartenniveau. Da hatte er endlose Jahre darauf gewartet, seine Botschaft loszuwerden, nur um zu entdecken, daß sie nicht genügte. Bei weitem nicht.
»Die letzte Nacht«, sagte er, »war vielleicht die intensivste meines Lebens.«
»Das glaubst du doch nicht im Ernst.« Sie legte die Hände in ihren Schoß.
»Im Augenblick empfinde ich es so«, sagte er.
Es war lange still im Zimmer.
»Meinetwegen hat Carl seine Frau verlassen«, sagte Nora. »Er hatte vorher nicht einmal daran gedacht. Obwohl ihm seine Studentinnen, lauter hübsche junge Frauen, in Scharen nachgelaufen sind. Er konnte sogar mit Ende Fünfzig noch einer Zwanzigjährigen den Kopf verdrehen.«
In der Stille nach Noras Worten hörte Harrison das Knacken der Heizrohre, die sich langsam erwärmten.
»Wir zogen aus der Stadt hinaus«, sagte Nora. »Carl wollte dem fürchterlichen Schlamassel mit seiner Frau entkommen. Ich glaube, er dachte, er könnte sich durch das Leben auf dem Land läutern. Mit Yoga. Mit dem Verzicht auf Fleisch. Mit langen Spaziergängen. Ich hätte ihm sagen können, daß es nicht klappen würde, daß eine Ortsveränderung ihn nicht zu einem anderen machen würde.«
Harrison legte das Buch neben sich auf die Truhe.
»Manche Männer fühlen sich erst mit einer Frau vollständig«, fuhr Nora fort. »Aber das habe ich schon gesagt.«
»Du warst die Gehilfin«, sagte Harrison.
»Carl war in dieser Hinsicht unersättlich. Er verlangte jede Minute meine Anwesenheit, meine Aufmerksamkeit, wenn er zu Hause war und nicht gerade schrieb. Man mußte ihn kennen, um das zu begreifen. Ich glaube, es gibt viele Männer, die so sind. Vielleicht ist Jerry so. Bill nicht. Und du bist auch nicht so.«
»Nein«, sagte Harrison.
»Ja, ich war die Gehilfin.« Sie hielt inne. »Ist das so schlecht? Das eigene Leben dem eines anderen unterzuordnen? Wenn Carls Kunst dadurch gewann, daß ich mich ihm widmete, hat sich dann das Opfer nicht gelohnt?«
»Für ihn vielleicht«, versetzte Harrison ruhig. »Ich verstehe nicht, wie es sich für dich gelohnt haben kann.«
»Wirklich nicht?« fragte sie ehrlich verwundert. »Kann man behaupten, daß die Ziele, die ich vielleicht hätte verfolgen wollen, ein höheres Gut waren? Ich glaube nicht. Es läßt sich einiges über das Opfer sagen. Religionen gründen auf dem Konzept.«
»So leben Frauen heute einfach nicht mehr«, entgegnete Harrison, obwohl er wußte, daß das nicht ganz stimmte. Es gab viele Frauen, die sich für andere opferten.
»Für mich war er ein genialer Dichter«, sagte Nora. »Und an diesem genialen Leben teilzuhaben schien mir damals das Opfer wert.«
Harrison versuchte, sich Nora mit Carl Laski vorzustellen, einem Mann, der bei seinem Tod Ende Sechzig gewesen war. Harrison wußte, wie die meisten Männer in diesem Alter aussahen. Er hatte viele im Fitneßstudio gesehen.
Harrison fiel plötzlich auf – so wie einem unversehens das Fehlen eines bestimmten Geräuschs auffällt –, daß der stotternde Ansatz in Noras Rede fehlte. Sie war ruhig, bestimmt.
»Ich war noch
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