Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Titel: Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
Vom Netzwerk:
Treppenabsatz sah sie, daß sie zu stark geschminkt war, daß ihr Rock vorne spannte und schon Falten hatte. Sie sah sich mit acht oder neun Jahren, wie sie in ihrem Kinderzimmer die Miss-America-Wahl im Fernsehen verfolgte und dazu sich selbst im Spiegel ansang: » Here she comes, Miss America … «, absolut überzeugt davon, daß man dieses Lied eines Tages für sie spielen würde. Sie hatte sich den Augenblick des Siegs so intensiv vorzustellen vermocht, daß sie das Gefühl gehabt hatte, er sei Realität.
    Miss America, von wegen!
    Bridget hörte ihren Namen und drehte sich um.
    Harrison umfaßte sanft ihre Schultern und küßte sie auf die Wange. »Herzlichen Glückwunsch.«
    »Harrison!« Sie konnte kaum glauben, daß er leibhaftig vor ihr stand. Er war nicht so stark ergraut wie Bill, aber oben am Scheitel lichtete sich sein Haar. Sie erinnerte sich der weichen braunen Augen, der V-förmigen Kerbe über der einen Braue (Andenken an den Sturz aus einem Baumhaus, als er noch ein kleiner Junge gewesen war), des drahtigen Körpers, ein kleines bißchen weniger drahtig jetzt. Er war so geworden, wie sie es sich vorgestellt hatte, und doch paßte sein Gesicht nicht ganz dazu. Das Alter mußte den Unterschied ausmachen, aber sie meinte noch etwas anderes zu erkennen. Bedauern vielleicht. Auch Weisheit war denkbar, Bridget wußte allerdings nicht, wie sich Weisheit zeigte. Harrison betrachtete sie lächelnd und sagte, sie sehe wunderbar aus. Bridget hoffte, sie würden sich nicht alle genötigt fühlen, ihr zu versichern, daß sie immer noch attraktiv war. Bridget hatte eine klare Vorstellung davon, was sie war und was sie nicht war. Sie war krank. Alles andere als gesund.
    Bei seinem Anblick fielen ihr Momente mit ihm aus der Schulzeit ein. Einmal war er ihr nachgelaufen, als sie im Schneesturm leichtsinnigerweise ohne Jacke von der Ford Hall zum Abendessen gegangen war. Er hatte seine eigene Jacke zum Schutz über sie beide gehalten (die Fenster zum Ozean waren mit einer undurchsichtigen weißen Schicht gefrorenen Gischts bedeckt gewesen). Sie erinnerte sich an Harrisons Rede, als er sich um die Aufgabe des Klassenschatzmeisters beworben hatte. Im Hintergrund war Pink Floyds Money gelaufen. Sie erinnerte sich auch noch an den Tag, als Harrison am Schlagmal am Kopf getroffen worden war und trotz des Helms umgekippt war wie ein gefällter Baum. Und natürlich mußte sie, wenn sie Harrison Branch sah, an die letzte Strandparty denken, an die Spannung zwischen ihm, Stephen und Nora. Auch die schrecklichen letzten Wochen, als Harrison sich ganz in sich selbst zurückgezogen und mit niemandem gesprochen hatte, waren ihr noch in Erinnerung.
    »Ich war überwältigt, als ich Bills E-Mail bekam«, sagte Harrison, der einzige unter ihnen, der Bills erste Frau gekannt hatte und ab und zu mit dem Paar zusammen gewesen war. Bridget hätte Harrison gern gefragt, ob Bill in seiner ersten Ehe einen glücklichen Eindruck gemacht habe, wie er mit kleinen Kindern umgegangen sei, lauter Dinge, die sie nicht wußte. Aber jetzt war Agnes zu Harrison getreten und begrüßte Bridget. Sie nahm sie fest in den Arm, und Bridget war froh, daß Agnes sie nicht für schonungsbedürftig hielt. Agnes war stärker gealtert als Harrison. Aber konnte ein gezeichnetes Gesicht nicht auch auf ein reicheres Leben hindeuten?
    »Mein Gott, das ist ja so eine romantische Geschichte«, sagte Agnes. »Daß du wieder mit Bill zusammengekommen bist. Nach wie vielen Jahren?«
    »Beinahe zweiundzwanzig.«
    »Das muß doch – war das nicht wie Liebe auf den zweiten Blick? Ich war auf diesem Klassentreffen, aber ich kam damals erst am Samstag dazu.«
    »Ein bißchen komplizierter war es schon«, sagte Bridget. »Aber ich glaube, wir haben es beide sofort gewußt.«
    »Es ist eine so wunderbare Geschichte. Einfach wunderbar«, wiederholte Agnes. »Im Leben läuft es nie so, nicht?«
    Die Frage war nicht zu beantworten, denn das Leben war ja so gelaufen. Aber da kam Rob, küßte sie links und rechts auf die Wangen und machte sie mit Josh bekannt. Dann nahm Jerry sie in die Arme und drückte sie und machte sie mit seiner Frau Julie bekannt. Bridget, Mittelpunkt einer ganzen Gruppe Menschen – umworbener, als sie an der Kidd je gewesen war –, fühlte sich, als hätte sie gerade einen bedeutenden Preis gewonnen.
    Vielleicht, dachte sie, war es ja auch so, und der Preis war ein Produkt aus Möglichkeiten und beinahe verpaßten Gelegenheiten: daß Bills Frau Jill

Weitere Kostenlose Bücher