Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
normalen Lebens, genau wie jetzt Bills Anwesenheit. Kinder waren unglaublich flexibel im Umgang mit den Gegebenheiten.)
Aber vielleicht nicht alle Kinder. Bills Tochter Melissa hatte entschieden nicht flexibel reagiert. Sie war neunzehn und eigensinnig und hatte sich auf die Seite ihrer Mutter geschlagen, was Bridget völlig verständlich fand. Bill traf sich sooft wie möglich zum Abendessen mit seiner Tochter, die im zweiten Jahr an der Boston University studierte. Bridget war Melissa nur zweimal begegnet, einmal vor ihrer Erkrankung, einmal danach, beide Begegnungen waren katastrophal verlaufen. Die Tatsache, daß Bridget an Krebs erkrankt war, hatte keine Bresche in die Abwehr geschlagen, wie Bill gehofft hatte, vielmehr hatte sie Bridget in Melissas Augen etwas Abstoßendes gegeben, mit dem ihr Vater besser nicht mehr in Berührung kommen sollte.
Bridget mochte gar nicht an diese zweite Begegnung in Boston denken. Sie wußte bis heute nicht, warum Melissa sich überhaupt auf dieses gemeinsame Abendessen eingelassen hatte. Vielleicht hatte Bill sie mit irgend etwas, wovon Bridget nichts erfahren durfte, dazu überredet. Beim Essen richtete Melissa das Wort, wenn sie überhaupt etwas sagte, demonstrativ an Bill allein und brachte, wann immer möglich, ihre Mutter ins Gespräch. Sie tat, als wäre Bridget nicht vorhanden, obwohl doch die Tatsache ihrer Existenz in jedem Bericht von zu Hause mitschwang. Melissa sah immer ihren Vater an, hielt seinen Blick fest, wenn sie mit ihm sprach, als wollte sie ihm eine dringende Botschaft übermitteln: Komm zurück.
Bridget stellte Fragen und erhielt einsilbige Antworten. Es war nicht auszuhalten, dachte sie, zumal sie das Gefühl hatte, daß sich zwischen ihr und Bills Tochter unter anderen Umständen sogar Zuneigung hätte entwickeln können. Es war sicher nicht schwer, Melissa gern zu haben. Die kriegerische Rüstung schützte einen weichen Kern. Melissa hatte glänzendes dunkles Haar, das ihr glatt auf den Rücken fiel und sich manchmal fächerartig über ihre Schultern ausbreitete. Sie hatte eine gewinnende Art, es mit einer langsamen Kopfbewegung nach rückwärts zu werfen. Bridget bewunderte Melissas schmale Taille und den Mund, der sich in einem vollkommenen Schwung wölbte. Bridget fand, sie sähe wie eine Pariserin aus, und vermutete, daß die schmale Taille und der schöne Mund ein Erbe der Mutter waren. Bridget hielt es für möglich, daß sie sich, wenn sie es zuließe, in einen Zustand leichter Eifersucht auf Bills erste Frau hineinsteigern könnte, die sie bisher nur auf Fotos gesehen hatte.
Beim Kaffee eröffnete Bill seiner Tochter, daß er Bridget heiraten würde, und Melissa reagierte, wie Bridget es sich hätte denken können. Sie stellte ihr Wasserglas hin, wischte sich den Mund, stand auf und verließ das Restaurant, ohne ihren Vater oder Bridget eines weiteren Blickes zu würdigen. Seit diesem Abend rief sie auf Bills Anrufe nicht mehr zurück.
»Sie wird sich schon wieder fangen«, hatte Bill gesagt, aber Bridget hielt es für möglich, daß eine Aussöhnung Jahre brauchen würde.
Matt hatte die Nachricht von der Heirat ganz anders aufgenommen. Bridget hatte Bill erklärt, es sei noch zu früh, um mit Matt über eine Heirat zu sprechen, aber Bill war genau entgegengesetzter Meinung gewesen: So wie er Matt sehe, brauche der mehr Familie, nicht weniger. Und Bill hatte recht gehabt. Matt hatte gestrahlt, als sie es ihm gesagt hatten. Bill bat ihn, sein Trauzeuge zu sein, und sofort hatten sie alle drei angefangen über Restaurants und Partyservices zu diskutieren, als wäre es das Normalste von der Welt, die Heirat eines Mannes mit einer Frau zu planen, deren Chancen, in zwei Jahren noch am Leben zu sein, bei fünfzig Prozent lagen.
Bridget schaute sich unter den Gästen in der Bibliothek um. War es abartig, in ihrem Zustand zu heiraten? Bill und Bridget waren gerade einmal eineinviertel Jahr zusammen gewesen, als Bridget die Diagnose erhalten hatte, und sie hatte sich gefragt, ob der Krebs nicht so etwas wie eine göttliche Strafe war. Sie erinnerte sich an ein Gespräch zwischen zwei Frauen im Warteraum des Onkologen, noch zu Beginn ihrer Behandlungen. Die eine hatte der anderen atemlos mitgeteilt, daß sie in zwei Wochen heiraten würde. Bridget hatte die Atemlosigkeit der Aufregung zugeschrieben, bis sie hörte, wie die Frau erzählte, daß der Krebs in ihrer Lunge angefangen und jetzt das Gehirn befallen habe. Und diese Frau wollte heiraten!
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