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Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)

Titel: Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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anmutig in ihren Bewegungen – wie sie ihren Stuhl zurückschob, sich halb herumdrehte und aufstand –, selbst bei einer alltäglichen Verrichtung. Und das war vielleicht der Unterschied zwischen Hazel und ihrer Schwester. Hazel war kein bißchen kindlich.
Louise und Mrs. Fraser traten zu den Männern am Fenster. Im Hafen flogen Gegenstände von einem der Schiffe nach allen Richtungen in die Luft.
»Wie ein Feuerwerk«, sagte Louise.
Auf den Straßen sammelten sich Passanten und beobachteten in Gruppen das Spektakel. »So etwas habe ich seit Kriegsausbruch nicht mehr gesehen«, sagte Dr. Fraser. »Ich will nicht annehmen, daß wir es mit einem Sabotageakt zu tun haben.«
»Deutsche in Halifax?« fragte Louise mit ansteigender Stimme.
»Nein, ganz bestimmt nicht«, hörte Innes Mrs. Fraser mit einem Anflug von Gereiztheit sagen.
Innes, der scharfe Augen hatte, konnte erkennen, wie Rettungsboote von dem brennenden Schiff zu Wasser gelassen wurden. Der Rauch war tatsächlich dick und ölig. Immer wieder schienen Fässer zu explodieren.
Hazel kam mit dem Feldstecher zurück und ging direkt zum Fenster, um ihn ihrem Vater zu geben.
»Sie haben es eilig, das Schiff zu räumen«, meldete Dr. Fraser, nachdem er das Glas eingestellt hatte.
»Das Schiff treibt auf die Küste von Halifax zu«, sagte Innes. Er fand das Unglück bei aller tödlichen Gefahr – waren vielleicht Menschen in den Flammen gefangen? – faszinierend anzusehen mit den aufschießenden Flammen und den unregelmäßigen Explosionen.
»Ich kann auf dem anderen Schiff die Worte Belgian Relief erkennen«, sagte Dr. Fraser.
Unten auf der Straße waren zwei Krankenschwestern stehengeblieben, um sich das Schauspiel anzusehen. Ein Junge, der für die Schule ohnehin schon zu spät dran sein mußte, war auf einen Briefkasten geklettert, um besser sehen zu können. Hazel stand so dicht neben Innes, daß der Ärmel ihrer Bluse sein Jackett streifte. War es Absicht? Einen Moment lang konnte Innes an nichts anderes denken als an Hazels Nähe.
»Setzen wir uns wieder an den Frühstückstisch«, sagte Dr. Fraser und legte den Feldstecher aufs Fensterbrett. Innes, der gerade jetzt, da Hazel ihm so nahe war, seinen Platz nicht aufgeben wollte, nahm das Glas und beobachtete die Schiffe. Hazel trat einen Schritt zur Seite, wie sich das schickte.
»Ich glaube, so schwarzen Rauch habe ich noch nie gesehen«, sagte Innes zu Dr. Fraser.
»Die werden das schon unter Kontrolle bekommen«, versetzte der Doktor.
Aber Innes war da nicht so zuversichtlich. Durch das Fernglas verfolgte er den Weg eines Rettungsboots im Wasser. Er konnte die Männer wie rasend zum anderen Ufer, nach Dartmouth hinüber, rudern sehen.
Ihm fielen die Unterlagen ein, die er sich noch ansehen mußte, bevor er und Dr. Fraser zum Krankenhaus aufbrachen. Er legte den Feldstecher aufs Fensterbrett. »Ich muß noch ein paar Sachen aus meinem Zimmer holen«, sagte er zu Dr. Fraser. »Ich bin um Viertel nach neun unten, ja?«
»Ja, natürlich. Ruhig auch früher, wenn Sie das Feuer besser sehen wollen.«
»Ich denke, von anderswo sieht man es auch nicht besser als von hier aus.« Innes trank einen letzten Schluck Kaffee und sah Hazel an, die an ihren Platz zurückgekehrt war. Sie wandte sich ihm zu, und da war er wieder, dieser heimliche Blick versteckter Aufforderung. Oder wünschte Innes ihn sich nur so? Das zitternde Summen, das anscheinend nur Hazel in Gang setzen konnte, begann wieder in seiner Brust.
Zwei Stufen auf einmal nehmend, lief Innes die Treppe hinauf, schwang sich oben um den Pfosten und eilte in sein Zimmer. Die Papiere, die Dr. Fraser ihm gegeben hatte, lagen neben dem Bett auf dem Boden. Er hatte sie am vergangenen Abend vor dem Einschlafen noch lesen wollen, aber er konnte sich an kein einziges Wort erinnern. Er warf einen Blick auf den Titel. Purulente Ophthalmie beim Säugling.
Er bemerkte, daß die ölige Rauchwolke höher in den Himmel über Halifax gestiegen war und im leichten Wind dahintrieb. Mit den Papieren in der Hand ging er zum Fenster. Im Licht aus Osten sah das Glas verschmiert aus, als wäre es einige Zeit nicht mehr geputzt worden. In seinem Blickfeld stand ein Glockenturm, ein Kirchturm. Dutzende, vielleicht Hunderte von Leuten waren auf den Straßen, um das Feuer zu sehen. Die Garnisonsstadt hatte von den eigentlichen Kriegshandlungen offensichtlich nicht viel mitbekommen. Ohne den Feldstecher war es schwieriger zu erkennen, was am Brandort geschah. Innes vermutete,

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