Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
stürzten.«
»Eine grausame Ironie.«
Widerstrebend sah Innes wieder auf seine Uhr. »Ich muß los. Die Patienten warten auf mich. Wann gehen Sie hier weg?«
»Man hat mich gebeten, bis sechs Uhr zu bleiben«, antwortete sie.
»Würden Sie dann mit mir einen Spaziergang machen?« fragte er. »Weit kann ich nicht gehen, ich habe heute Nachtdienst. Aber eine halbe Stunde habe ich sicher Zeit.«
Sie zögerte. »Ja, gut«, sagte sie schließlich. »Gehen wir ein Stück spazieren.«
Kurz vor sechs war Innes am Hauptportal des Krankenhauses. Er hatte sich eine halbe Stunde Pause für das Abendessen genommen. Er wartete voll Ungeduld. Jeder Augenblick, der verstrich, war ein Augenblick ohne Hazel.
In einem seltsam festlichen blauen Samtmantel mit Pelzbesatz und großen silbernen Knöpfen, die diagonal gesetzt waren, kam sie durch die zweiflügelige Innentür. Sie trug einen schwarzen Hut mit Krempe und einem kurzen Schleier. Innes vermutete, daß Mantel und Hut geliehen waren. Von Lebenden, hoffte er. Beim Näherkommen zog Hazel ihre Handschuhe an.
Ohne ein Wort öffnete Innes ihr die Tür, und sie traten in den Abend hinaus.
Die Bemühungen, die Straßen in unmittelbarer Umgebung des Krankenhauses von Trümmern zu räumen, waren einigermaßen erfolgreich gewesen. Pferdewagen fuhren vorüber. Das Benzin für Automobile war immer noch sehr knapp. Wie jeden Abend, wenn er seine Spaziergänge machte, fiel Innes auf, wie still es in der Stadt war. Es liefen kaum Motoren, es war wenig Verkehr im Hafen. Stimmen trugen weit.
»Ist es Ihnen wichtig, wohin wir gehen?«
»Nein, nein«, antwortete sie. »Hauptsache frische Luft.«
»Wie weit ist es bis zum Haus Ihrer Tante?« fragte er.
»Ungefähr – vielleicht acht Kilometer von hier aus.«
»Und wie kommen Sie nach Hause?« Innes’Worte stiegen in kleinen Wolken in die eisige Luft auf.
»Mein Onkel holt mich ab. Er hat einen Wagen. Und Sie?«
Innes lachte und wies zum Krankenhaus zurück. »Mein bescheidenes Heim.«
»Sie wohnen im Krankenhaus?« fragte sie überrascht.
»Viele von uns wohnen dort. Wir werden gut versorgt.« Er sagte nicht, daß er keine andere Möglichkeit hatte.
»Ich war überzeugt, daß Sie nicht umgekommen sind«, sagte Hazel. »Ich dachte, Sie wären vielleicht zu Ihren Eltern zurückgekehrt.«
Innes war beglückt. Hazel hatte an ihn gedacht. Sie hatte gehofft, daß er am Leben geblieben war. »Es gibt hier so viel zu tun«, sagte er. »Mein Platz ist hier. Ich habe meinen Eltern ein Telegramm geschickt. Sie erwarten mich nicht.«
»Werden Sie sich denn in Halifax niederlassen?« Sie ging um einen grauen Schneehaufen herum.
»Wenn man sich in Halifax je wieder niederlassen kann.«
»Ich habe gehört, es sollen Häuser und Wohnungen gebaut werden. Mein Onkel ist im Stadtrat.«
»Tausende sind obdachlos.«
»Jetzt müßte man Zimmermann sein«, sagte sie.
Innes lachte, und sie bogen um eine Ecke.
»Dachten Sie, es wären die Deutschen gewesen?« fragte sie.
»Einen Moment, bis ich hinauskam und die Verwüstung sah. Keine Bombe hätte das fertiggebracht.«
»Sie waren nicht in den Trümmern unseres Hauses?« fragte sie.
»Ich glaube, ich bin in einer Textilfabrik gelandet.«
Hazel überlegte einen Moment. » The Looms . Ja, das wird es sein. Es war schräg hinter unserem Haus. Keine Textilfabrik. Eher ein Kunstgewerbebetrieb.«
»Möchten Sie irgendwo einkehren und etwas essen?« fragte Innes.
Hazel schüttelte den Kopf. »Bei meiner Tante wartet das Abendessen. Wirklich, allein die frische Luft tut mir gut.«
Zum erstenmal seit Tagen roch die Luft rein. Der Geruch des Todes war nicht mehr allgegenwärtig.
Hazel blieb plötzlich stehen und wandte sich Innes zu. »Meine Schwester«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wie ich sie in den nächsten Tagen wieder besuchen soll.«
»Im Moment wäre es vielleicht wirklich unklug«, sagte Innes, überrascht über die Schroffheit von Hazels Worten. »Aber ich bin überzeugt, daß sie sich mit der Zeit beruhigen wird. Ich habe viele andere Patienten gesehen, die durch ein Unglück erblindet sind. Das Entsetzen, das sie jetzt gepackt hält, wird sich legen.«
Hazel stand so dicht neben ihm, daß er den Hauch ihres Atems spürte.
»Ich möchte weggehen«, sagte sie. »Ich möchte das alles hier hinter mir lassen.«
Innes wußte nicht recht, was sie meinte. »Sie wollen aus Halifax weg?« fragte er.
»Ja. Ich will hier nicht bleiben. Es ist herzlos, ich weiß, wo so viele gelitten haben. Wo meine Schwester so leidet.«
»Aber
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