Eine Hochzeit im Dezember: Roman (German Edition)
Mantel aus und rutsch auch mal runter. Du kannst meine Jacke haben.«
»Das geht nicht«, sagte Rob.
Natürlich, die Finger. »Macht es dir etwas aus?« fragte Harrison.
»Manchmal, ja.«
Harrison schaute den Hang hinunter. Matt und Brian hatten eine kleine Sprungschanze gebaut, vielleicht einen halben Meter hoch. Bill probierte sie in einem Tellerrutscher aus, bekam Unterluft und krachte hart in den Schnee.
»Wir werden noch einen Bräutigam auf Krücken haben«, sagte Rob und wandte sich zum Haus. »Ich hole lieber mal Josh, bevor er seine virtuellen Finger überanstrengt«, rief er über die Schulter zurück.
Harrison hörte von unten Bills Lachen. Er beobachtete Agnes, die den Hang hinaufkletterte und außer Atem oben ankam. »Und ich dachte, ich wäre fit«, sagte sie zu Harrison.
Harrison studierte nachdenklich die Sprungschanze.
»Na los«, sagte Agnes.
»Meinst du?«
»Man ist nur einmal jung.«
»Aber ich möchte gern noch älter werden.«
Er setzte sich in seinen Tellerrutscher, stieß sich mit den Händen ab, um Geschwindigkeit aufzunehmen, und sah die Schanze kommen. Vom Boden aus gesehen wirkte sie weit höher als vom Gipfel aus.
Er flog hoch und weit, bekam Luft von unten und überschlug sich im Abwärtsflug. Eine Minute lang blieb er atemlos im Schnee liegen. Er schaute zum Himmel hinauf und empfand wieder die Wonne kindlichen Tuns, ein Gefühl ähnlich der unbeschwerten Freude, die ihn ergriff, wenn er einen Grounder seiner Jungen fing oder sich mit ihnen aufs Eis wagte. Bill, der mit seinem Schlitten den Hang heraufkam, sagte: »Toll, Branch. Einfach toll.«
Harrison drehte sich um, Schnee auf der Jacke und in den Turnschuhen. Er kam auf die Knie, sein Tellerrutscher war halbwegs den Hügel hinunter. Er holte ihn und stieg, die Füße beinahe taub vor Kälte, wieder nach oben.
»Ein spektakulärer Sturz«, bemerkte Nora, als Harrison oben angekommen war. Sie hatte immer noch ihren Mantel über den Schultern und hielt ihn mit den Händen, die in Handschuhen steckten, vorn zusammen. Hinter der Sonnenbrille waren ihre Augen nicht zu erkennen. »Das Spiel hat sicher Spaß gemacht«, fügte sie hinzu. »Es sah jedenfalls so aus.«
»Das klingt etwas wehmütig«, meinte Harrison.
»Hin und wieder wünsche ich mir, ich wäre nur Gast.«
»Im Ernst?«
»Im Ernst.«
Harrison blickte den Hang hinunter. »Irgendwann rammt jemand den Baum da unten«, sagte er.
»Ich weiß. Ich – ich wollte ihn eigentlich fällen lassen, aber er ist so schön. Besonders im Herbst.«
»Was für ein Baum ist es denn?« fragte Harrison.
»Ein Zuckerahorn.«
Der einsame Baum am Fuß des Hügels löste eine Erinnerung aus. » Die Schlittenfahrt «, sagte Harrison, auf den Roman von Edith Wharton Bezug nehmend, in dem Ethan Frome und ein junges Mädchen sich das Leben zu nehmen versuchen, indem sie mit dem Schlitten gegen einen Baum rasen. »Spielt das nicht hier irgendwo in der Gegend?«
»Starkfield.«
»Aber den Ort gibt es in Wirklichkeit nicht.«
»Nein.«
Noch eine Erinnerung stieg in Harrison auf. »Am Anfang seiner Karriere hat dein Mann wiederholt Ethan Frome gelobt.«
»Carl mochte Edith Whartons andere Bücher nicht.«
»Das ist doch ungewöhnlich, nicht?« fragte Harrison. »Die meisten Leute, die Edith Wharton mögen, geben ihren anderen Büchern den Vorzug. Zeit der Unschuld und so weiter.«
»Er hat seine Meinung später sowieso geändert«, sagte Nora.
»Wie kam das?«
Nora entfernte sich ein wenig. »Seicht, behauptete er. Artifiziell. Plump. Man sollte die Architektur eines Romans nicht so genau erkennen.«
»Und was meinst du?« fragte Harrison.
Nora zuckte mit den Schultern. »Es ist, was es ist. Ein knapp geschriebener kleiner Roman, den Schüler an der High School lesen können. Carl – Carl hat ihn zu Beginn seiner Karriere bewundert, weil ihm vorschwebte, Romane zu schreiben. Wenn man als Lyriker daran denkt, einen Roman zu schreiben, kommt einem ein Kurzroman entgegen.«
Harrison sah sie forschend an. »Das wußte ich gar nicht.«
»Das überrascht dich?« fragte sie.
»Ja. Sehr. Hat er tatsächlich einen Roman geschrieben?«
Nora schob die Hände in den Handschuhen unter ihre Arme. »Er hat einen angefangen. Ich mußte das Manuskript verbrennen, als er sicher war, daß er sterben würde.«
»Du machst Witze.«
»Ich kann verstehen, daß das für einen Verlagslektor irritierend ist.«
»Ein bißchen schon«, sagte Harrison. »Ich kann mir vorstellen, sein Verleger
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