Eine Hochzeit wie im Maerchen
Berge waren in ein beinahe unwirkliches Licht getaucht. Ein Wetterleuchten begann.
Erneut holte er das Mobiltelefon aus der Tasche und wählte Arianas Nummer. Obwohl er schon fünf-, sechsmal versucht hatte, sie zu erreichen, war er noch nicht zu ihr durchgekommen. Was sicher an dem herannahenden Gewitter lag.
Aber diesmal hatte er Glück: Eine, wenn auch sehr gestörte, Verbindung kam zustande.
„Lazz?“, hörte er Ariana sagen. Offenbar war sie durcheinander, denn sie sprach italienisch weiter. Ihm gefror fast das Blut in den Adern, als sie verkündete: „Ich habe mich verlaufen.“
Hoffentlich bricht der Funkkontakt nicht ganz ab, dachte er und fragte schnell: „In welche Richtung bist du gelaufen?“
„Zuerst ein gutes Stück den Fluss entlang. An einer Abzweigung nach rechts habe ich lila Blumen gesehen, die ich zeichnen wollte. Deshalb bin ich immer weiter dem Pfad gefolgt, an dem sie wachsen – bis ich ausgerutscht und den Berg hinuntergefallen bin. Dabei habe ich mir den Knöchel verletzt. Als ich wieder hochgeklettert bin, habe ich weder die Blumen noch den Weg wiedergefunden, auch nicht den Fluss oder sonst etwas.“
So wie sich das anhörte, fürchtete Lazz, sie würde in Panik geraten. „Lass dein Handy an“, befahl er. „Ich versuche, Sebastian zu erreichen. Vielleicht kann er dich darüber orten und –“
Wie er befürchtet hatte, brach die Verbindung ab: Signalstärke gleich null. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich selbst auf die Suche nach Ariana zu machen. Er musste sie finden, und zwar schnell!
Auch in brenzligen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren war schon immer Lazz’ Stärke gewesen. Auch jetzt ging er in Gedanken Punkt für Punkt die Situation durch. Mit einem verstauchten Fuß würde Ariana einen Stützverband brauchen. Falls sie beide wegen des Gewitters nicht sofort zur Hütte zurückkehren könnten, war Essen und Trinken notwendig. Im Bootshaus wurden Regenmäntel und Rucksäcke aufbewahrt. Und ein Pullover wäre nicht schlecht, vielleicht war Ariana durch den Schock ausgekühlt. Was konnte sonst noch nützlich sein? Taschenlampen. Und ein Kompass!
Fünf Minuten später brach er gut ausgerüstet auf und ging am Seeufer entlang zum Fluss. Kaum hatte er den Weg erreicht, der parallel dazu verlief, als ohrenbetäubend das Gewitter losbrach.
Lazz begann schneller zu laufen und hielt dabei nach der Abzweigung Ausschau. Nach ungefähr eineinhalb Kilometer sah er die lilafarbenen Blumen, die von dem starken Wind niedergedrückt wurden. Jeden Moment würde es zu regnen anfangen. Dennoch blieb Lazz stehen, um auf den Kompass zu schauen. Dann lief er weiter.
Irgendwo in der Nähe musste die Stelle sein, wo Ariana hinuntergestürzt war, nur wo? Hier war es überall ziemlich steil …
Mit einem Blick über die Schulter erkannte er, wie bedrohlich die Wetterlage inzwischen geworden war. Der Himmel war fast schwarz, und dunkle Regenwolken, die sehr schnell näher kamen, versperrten den Blick zum Fluss.
Während Lazz weiterlief, rief er immer wieder Arianas Namen.
Fünf Minuten später kam er an eine Bergwiese mit bunten Blumen – mit einem abrupten Geländeabbruch am anderen Ende. Erde, Steine und entwurzelte Pflanzen wiesen auf eine tiefe Schlucht hin.
Kein Zweifel, hier musste sie hinuntergestürzt sein. Ohne selbst zu wissen wieso, war er sich seiner Sache völlig sicher.
„Ariana!“, rief er, indem er die Hände zu einem Schalltrichter formte. „Hörst du mich?“
Nun brach das Unwetter richtig los, der Regen prasselte so laut auf den Erdboden, dass Lazz nicht einmal sein eigenes Wort verstand, geschweige denn eine mögliche Antwort Arianas.
Vorsichtig kletterte er den Abhang hinunter in die dunkle Schlucht. Immer wieder rutschte er aus, denn der Boden war bereits völlig aufgeweicht und schlammig.
Als er unten angelangt war, spürte er ganz deutlich, dass seine Frau hier gewesen sein musste – vor gar nicht allzu langer Zeit.
Mit Hilfe der Taschenlampe fand er die Bestätigung dafür: ihren zerbrochenen Stift. Und ihr zerrissener Zeichenblock war an den Rand eines Baches, der sich aufgrund des heftigen Regens in der Schlucht gebildet hatte, geweht worden.
Nachdem er den Block sorgfältig gesäubert und im Rucksack verstaut hatte, blickte er sich aufmerksam um, um herauszubekommen, wo Ariana hochgeklettert sein könnte: unglücklicherweise auf der gegenüberliegenden Seite! Darum also hatte sie nicht mehr zurückgefunden.
Er folgte ihren Spuren.
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