Eine Insel
würde er bestimmt nicht tun. Doch dieses leichte Lächeln von ihm… so lächelt er immer, wenn er richtig wütend ist!
»… gab sie mir zu essen«, fuhr Mau fort. »Und später gab sie mir eine Waffe, damit ich Feuer machen konnte, obwohl sie fern von ihrer Heimat und völlig verängstigt war. Doch vorher hatte sie noch daran gedacht, die kleine Kugel herauszunehmen, die fliegt und tötet, damit ich nicht verletzt werde. Und sie lud mich auf die
Sweet Judy
ein, wo sie mir wunderbaren Kuchen mit Hummergeschmack servierte. Ihr alle kennt das Geistermädchen.«
Sie hob den Kopf. Alle starrten sie an. Jetzt stand Mau auf und trat in die Mitte des Kreises.
»Diese Männer waren anders«, sagte er, »und das Geistermädchen wusste, was in ihren Köpfen vor sich ging. Sie wollten das Bierlied nicht singen, weil sie glaubten, wir wären so etwas wie Tiere, und sie waren zu stolz und fühlten sich zu groß, um ein Lied von Tieren zu singen. Das wusste sie.« Er blickte sich im Kreis um. »Das Geistermädchen glaubt, sie hätte einen Mann ermordet. Hat sie das getan? Ihr müsst darüber entscheiden.«
Daphne versuchte zu verstehen, was nun gesagt wurde, aber alle Leute fingen gleichzeitig an zu reden, und weil alle auf einmal redeten, sprach jeder etwas lauter. Doch irgendetwas geschah.
Kleine Gespräche wurden größer, schon bald von anderen aufgegriffen und wanderten so im Kreis von Zunge zu Zunge. Wie das Ergebnis auch immer aussehen würde, es bestünde vermutlich nicht nur aus einem einfachen Wort, dachte sie. Dann wanderte Pilu im Kreis herum, hockte sich hier hin und dorthin und beteiligte sich eine Weile an den Gesprächen, bevor er zur nächsten Gruppe weiterging.
Niemand hob die Hand, und es gab keine Abstimmung, aber sie fragte sich, ob es im antiken Athen vielleicht genauso gewesen war. Das war Demokratie in ihrer reinsten Form. Die Leute durften nicht einfach nur wählen, jeder hatte auch etwas zu sagen…
Dann beruhigte sich die Runde. Pilu trennte sich von der letzten Gruppe und kehrte in die Mitte des Kreises zurück. Er nickte Mau zu und verkündete das Ergebnis. »Ein Mensch, der einen Priester tötet oder einen anderen Menschen tötet, weil er Spaß daran hat, ihn sterben zu sehen, oder der einen Delfin tötet« – an dieser Stelle stöhnten die Leute laut auf –, »kann gar kein Mensch sein. Es muss ein böser Dämon gewesen sein, der von der Hülle eines Menschen Besitz ergriffen hat, sagen sie. Das Geistermädchen kann ihn also nicht getötet haben, weil er schon längst tot war.«
Mau legte sich eine Hand auf den Mund. »Ist es das, was ihr glaubt?«
Darauf folgte lautstarke Zustimmung.
»Gut.« Er klatschte in die Hände und hob die Stimme. »Wir sind immer noch nicht mit dem Schweinezaun fertig, und wir brauchen außerdem noch mehr Holz von der Judy, und die Fischreuse baut sich auch nicht von allein!«
Die Leute standen auf und drängten eilig kreuz und quer in alle Richtungen auseinander. Niemand hatte mit einem Holzhammer auf einen Tisch geschlagen oder eine Perücke getragen. Sie hatten einfach nur getan, was erledigt werden musste, ohne darum viel Aufhebens zu machen, und nun war es eben an der Zeit, am Schweinezaun weiterzuarbeiten.
»War es das, was du wolltest?«, fragte Mau, der plötzlich neben ihr stand.
»Wie bitte?« Sie hatte gar nicht gesehen, wie er zu ihr gekommen war. »O ja. Äh, ja. Danke. Das war ein sehr gutes, äh, Gerichtsurteil«, sagte sie. »Und was meinst du?«
»Ich denke, sie haben entschieden, und die Sache ist erledigt«, sagte Mau. »Der Mann hat Locaha auf diese Insel gebracht, und die Pistolen waren seine Diener. Aber Locaha selbst ist niemandes Diener.«
12
Kanonen und Politik
Mau setzte sich auf einen Götterstein. »Was glaubst du, wo Cox jetzt ist?«
»Ich hoffe, die Welle hat ihn ertränkt!«, sagte Daphne. »Ich weiß, dass ich das nicht tun sollte, aber so ist es nun mal.«
»Und du befürchtest, dass er sie überlebt hat«, sagte Mau. Es war keine Frage.
»Richtig. Ich glaube, dazu wäre mehr nötig als eine Welle. Foxlip hat behauptet, er hätte Cox getötet. Ha! Ich bin mir sicher, dass er das nur gesagt hat, um sich wichtigzumachen. Aber Polegrave erwähnte irgendwelche Kannibalenfreunde von Cox. Könnte das sein?«
»Ich weiß es nicht. Die Räuber töten, um Ruhm und Schädel zu sammeln. Du sagst, er tötet ohne Grund. Er tötet etwas, nur weil es lebt. Er kommt mir vor wie ein böser Traum, wie ein Ungeheuer. Sie wüssten
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