Eine Insel
Rizinusöl enthielt, deren Operationstisch eine Bank war, die auf einem wankenden Deck hin und her rutschte und deren Instrumente aus einer Säge, einem Hammer, einem Eimer mit heißem Teer und einer Schnur bestanden. In dem Buch fand sich nicht viel zum Thema Geburten, und was darin zu finden war – sie blätterte zur nächsten Seite – Hilfe! Diese Illustration hätte sie lieber nicht gesehen. Dagegen war die Arbeit eines Schiffsarztes fast harmlos…
Die werdende Mutter lag in einer der Hütten auf einer geflochtenen Matte und stöhnte, und Daphne wusste nicht so recht, ob das nun ein gutes Zeichen war oder eher ein schlechtes. Sie war sich jedoch absolut sicher, dass Mau nicht zusehen sollte, ganz gleich ob Junge oder nicht. Dieser Ort wurde als Frauenhain bezeichnet, und fraulicher als das konnte es wohl kaum werden.
Sie zeigte auf die Tür. Mau sah sie erstaunt an.
»Raus, husch! Ich meine es ernst! Es ist mir egal, ob du ein Mensch oder ein Geist oder ein Dämon oder was weiß ich bist, aber du bist eindeutig nicht weiblich! Wenigstens ein paar Regeln müssen eingehalten werden! So, und jetzt raus! Und nicht am Schlüssello… ich meine, an den Fasern lauschen!«, fügte sie hastig hinzu. Dann schloss sie den Vorhang aus Grashalmen, der – wenn auch eher schlecht als recht – die Aufgabe einer Tür erfüllte.
Danach ging es ihr etwas besser. Wenn man jemanden anbrüllen konnte, fühlte man sich immer besser, und es gab einem das Gefühl zu wissen, was man tat, auch wenn es gar nicht so war.
Dann setzte sie sich wieder neben die Matte auf den Boden.
Die Frau griff nach ihrem Arm und röchelte eine Frage hervor.
»Äh… es tut mir leid, aber ich verstehe dich nicht«, sagte Daphne.
Doch die Frau sagte wieder etwas und hielt Daphnes Arm so fest umklammert, dass die Haut weiß wurde.
»… ich weiß nicht, was ich tun soll… Oh, bitte nicht, bitte keine Komplikationen…!«
Der kleine Sarg, der auf dem großen stand und dadurch umso kleiner wirkte. Diesen Anblick würde sie nie vergessen. Sie hatte hineinschauen wollen, aber man erlaubte es nicht, und niemand hörte ihr zu, wenn sie es erklären wollte. Männer kamen vorbei und setzten sich zu ihrem Vater, so war das Haus die ganze Nacht voller Menschen. Sie bekam keinen neuen Bruder und keine neue Schwester, doch das war nicht alles, was man ihr genommen hatte. Also saß sie die ganze Nacht auf der obersten Treppenstufe, gleich neben den Särgen. Sie wollte etwas tun, traute sich aber nicht, obwohl ihr der kleine, tote Junge so unendlich leid tat, der ganz allein war und weinte.
Die Frau bäumte sich auf und schrie. Moment, da war doch noch was mit einem Lied, nicht wahr? Davon hatte der junge Mann gesprochen. Ein Willkommenslied für das Baby. Doch woher sollte sie dieses Lied kennen?
Vielleicht war es ja egal, welches Lied, solange es ein Willkommenslied war, ein gutes Lied, das der Geist des Kindes gerne hörte, damit es sich beeilte, auf die Welt zu kommen. Ja, das klang nach einer guten Idee, aber woher kam auf einmal die Gewissheit, dass es wirklich eine gute Idee war? Und plötzlich drang ihr ein Lied aus ihrem tiefsten Inneren ins Bewusstsein.
Ein Lied, das sie irgendwie schon immer gekannt hat – ihre Mutter hatte es ihr vorgesungen, als sie noch lebte.
Sie beugte sich vor, räusperte sich und sang: »Funkel, funkel, kleiner Stern, wer du bist, wüßt ich so gern…«
Die Frau starrte sie einen Moment lang verwirrt an, doch dann entspannte sie sich.
»Stehst hoch über aller Welt, ein Diamant am Himmelszelt…«, sangen Daphnes Lippen, während ihr Gehirn dachte: Sie hat sehr viel Milch und könnte mühelos zwei Babys stillen. Also werde ich den anderen auftragen, dass sie die kranke Frau und ihr Kind hierherbringen sollen. Ihr nächster Gedanke war: Habe ich das gerade gedacht? Ich weiß doch nicht einmal, wie Babys auf die Welt kommen! Ich hoffe nur, dass es nicht allzu sehr blutet, ich kann doch kein Blut sehen!
Funkel, funkel, kleiner Stern, Ach, wie bist du mir so fern. Seh ich dich am Himmel stehn, Würd ich gerne mit dir gehn. Funkel, funkel, kleiner Stern…
Dann geschah etwas Seltsames. Vorsichtig zog sie den Rock der Frau beiseite. Aha, so geht das also! Du meine Güte! Was mach ich denn jetzt? Sogleich kam ein anderer Gedanke hinterher, als hätte er nur auf diese Frage gewartet: Das musst du machen…
Die Männer warteten vor dem Tor zum Hain und fühlten sich überflüssig und fehl am Platze, was angesichts der
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