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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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hatte den großen Vorteil, dass die kleinen, roten Krabben sie nicht erreichen konnten. Daphne wusste, dass sie schon wieder überall herum- und in alles hineinkrabbelten, aber mit dem Handtuch um ihren Kopf konnte sie wenigstens das leise Rischelraschel nicht mehr hören.
    Leider schützte das Handtuch sie nicht vor dem, was man zu Hause als Chor der Dämmerung bezeichnet hätte. Hier passte dieser Begriff jedoch einfach nicht im Mindesten zu der Lärmexplosion, die jeden Morgen über sie hereinbrach. Alles, was Federn hatte, drehte völlig durch. Zudem kam den verfluchten Pantalonvögeln bei Sonnenaufgang auch noch die Reste ihres Abendessens wieder hoch – sie hörte, wie es über ihr aufs Deck klatschte. Und der Schimpfwortvorrat von Captain Roberts’ Papagei war anscheinend noch lange nicht erschöpft. Manche Ausdrücke waren ihr ganz und gar fremd, was es aber auch nicht besser machte. Sie wusste trotzdem, dass es Beschimpfungen waren. Daran gab es für sie keinen Zweifel.
    Der Schlaf kam und ging und kam erneut, doch in jedem verschwommenen, halbwachen Traum tauchte der Junge auf.
    Als kleines Mädchen hatte sie ein Buch voller patriotischer Bilder aus dem Empire geschenkt bekommen. Eins hatte sich ihrem Geist ganz besonders eingeprägt, weil es den Titel »Der Edle Wilde« trug. Zunächst konnte sie nicht verstehen, was an dem Jungen mit dem Speer und der goldbraunen Haut, die wie frisch gegossene Bronze schimmerte, edel sein sollte, weil Adlige schließlich nicht halbnackt mit primitiven Waffen im Dschungel herumrannten. Erst später hatte sie verstanden, dass mit dem scheinbaren Widerspruch die Schönheit des Ursprünglichen zum Ausdruck gebracht werden sollte.
    Mau sah ihm sehr ähnlich, obwohl der Junge auf dem Bild gelächelt hatte. Mau lächelte nicht, und er bewegte sich wie ein Tier, das in einen Käfig gesperrt war. Jetzt tat es ihr leid, dass sie auf ihn geschossen hatte.
    Erinnerungen wirbelten in ihrem schläfrigen Gehirn durcheinander. Sie sah ihn wieder vor sich, an jenem schrecklichen ersten Tag. Er war wie eine Art Maschine gewesen, hatte sie nicht gehört, sie nicht einmal gesehen. Eine Leiche nach der anderen trug er zum Strand, und seine Augen blickten in eine andere Welt. Manchmal hatte Daphne den Eindruck, dass sie es immer noch taten. Er schien ständig zornig zu sein – so ähnlich wie Großmutter, wenn die Form nicht gewahrt wurde.
    Daphne stöhnte leise, als es wieder auf das Deck platschte.
    Noch ein Großvatervogel, der kleine Knochen erbrach. Zeit zum Aufstehen.
    Sie nahm das Handtuch vom Kopf und setzte sich auf. Und da stand Mau neben der Hängematte und betrachtete sie. Wie war er hereingekommen? Wie hatte er über das Deck laufen können, ohne Krabben zu zertreten? Sie hätte ihn doch hören müssen! Und warum starrte er sie so an? Ach, warum trug sie denn nicht ihr einziges sauberes Nachthemd?
    »Wie kannst du es wagen, hier einfach…?«, begann sie. »Frau Baby«, sagte Mau eindringlich. Er war gerade erst hereingekommen und hatte sich gefragt, wie er sie wohl wecken sollte.
    »Was?«
    »Kommt Baby!«
    »Was ist jetzt wieder passiert? Hast du die Milch besorgt?«
    Mau dachte nach. Wie hieß noch gleich das Wort, wenn sie eine Sache zusammen mit einer anderen meinte? Ach Ja…
    »Frau und Baby!«, sagte er. »Was ist mit den beiden?«
    Offensichtlich funktionierte es so auch nicht. Dann kam ihm eine Idee. Er hielt seine Hände vor den Bauch, als würde er einen großen Kürbis tragen. »Frau, Baby.« Dann verschränkte er die Arme und wiegte sie hin und her.
    Das Geistermädchen starrte ihn nur an. Wenn Imo die ganze Welt erschaffen hat, dachte Mau, warum können wir uns dann nicht verstehen?
    Das ist unmöglich, dachte Daphne. Geht es um die arme, kranke Frau? Aber sie kann doch kein zweites Baby bekommen!
    Oder meint er vielleicht…?
    »Menschen kommen Insel?«
    »Ja!«, rief Mau erleichtert.
    »Eine Frau?«
    Mau hielt sich wieder einen Kürbis vor den Bauch. »Ja!« »Und sie ist… guter Hoffnung?« Das war eine Umschreibung für »schwanger«, aber ihre Großmutter hatte gesagt, dass eine Dame dieses Wort niemals in feiner Gesellschaft benutzte. Mau, den ihre Großmutter sicher nicht zur feinen Gesellschaft gezählt hätte, blickte sie verständnislos an.
    Daphne errötete verärgert und beschränkte sich ebenfalls darauf, einen Kürbis zu halten. »Äh, du meinst das hier?«
    »Ja!«
    »Na, das ist doch nett«, sagte Daphne, während sich eiskalte Panik in ihr

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