Eine Insel
kommt näher. Sieh nur, an Bord brennt sogar eine Fackel!«
Ataba jedoch ließ sich nicht von seiner triumphierenden Schadenfreude abbringen. »Für einen kurzen Moment hast du…«
»Das ist mir egal! Komm jetzt! Da sind Menschen!«
Das Kanu steuerte durch die neue Öffnung im Riff. Mau konnte zwei Gestalten erkennen, aber nur als Schatten vor dem heller werdenden Horizont, wie sie das Segel einholten. Die Gezeiten waren günstig, und die Leute wussten, was sie taten, denn das Boot fuhr so mühelos in die Lagune, als würde es sich selbst steuern.
Dann glitt es sanft auf den Strand. Ein junger Mann sprang heraus und lief zu Mau.
»Gibt es hier Frauen?«, sagte er. »Bitte, die Frau meines Bruders bekommt ein Baby!«
»Hier ist eine Frau, aber sie ist krank.« »Kann sie das Ruflied singen?«
Mau blickte zu der Unbekannten Frau. Er hatte noch kein einziges Wort von ihr gehört, und er war sich auch nicht sicher, ob in ihrem Kopf alles richtig war.
»Das bezweifle ich«, sagte er.
Der Mann sackte in sich zusammen. Er war noch jung, nur ein paar Jahre älter als Mau. »Wir waren unterwegs, um Cahle zum Frauenhain auf den Wellenbrecherinseln zu bringen, als die Welle kam. Es gibt sie nicht mehr. So viele Inseln sind… nicht mehr da. Und dann sahen wir den Rauch eures Feuers. Bitte, wo ist euer Häuptling?«
»Ich bin hier«, sagte Mau selbstbewusst. »Bring sie hinauf zum Frauenhain. Ataba wird dir den Weg zeigen.« Der alte Priester schnaubte und zog eine finstere Miene, widersprach aber nicht.
Der junge Mann starrte Mau fassungslos an. »Du bist der Häuptling? Aber du bist nur ein Junge!«
»Nicht nur. Nicht mehr. Nicht weniger. Wer weiß?«, sagte Mau. »Die Welle kam. Eine neue Zeit hat begonnen. Wer weiß schon, wer wir sind? Wir haben überlebt, mehr aber auch nicht.« Er verstummte und dachte: Und wir werden zu dem, was wir sein müssen… »Hier ist ein Mädchen, das euch helfen kann. Ich werde sie zum Frauenhain hinaufschicken.«
»Danke. Es kann jeden Moment losgehen! Mein Name ist Pilu. Mein Bruder heißt Milo.«
»Du meinst das Geistermädchen?«, zischte Ataba ihm ins Ohr, als der junge Mann über den Strand zurücklief. »Das ist nicht richtig! Sie kennt die Sitten der Niederkunft nicht.«
»Kennst du sie denn?«, erwiderte Mau. »Könntest du der Frau helfen?«
Ataba zuckte zurück, als hätte er sich verbrannt.
»Ich? Nein!«
»Dann halt dich da raus. Sie wird schon wissen, was zu tun ist.
Frauen wissen immer, was dann zu tun ist«, sagte Mau, um Zuversicht bemüht. Außerdem war es doch tatsächlich so. Die Jungen mussten eine Weile auf der Insel bleiben und ein Kanu bauen, bevor sie offiziell zu Männern wurden, aber bei Mädchen geschah es einfach von selbst. Plötzlich, auf magische Weise, wussten sie, wie man Babys richtig herum hielt und wie man »Utzeputzepitziwitzi« machte, ohne dass sich das Kind die Seele aus dem Leib schrie.
»Außerdem ist sie kein Mann, sie kann sprechen, und sie lebt«, setzte er hinzu.
»Nun denn. In Anbetracht der Umstände…«, räumte Ataba ein.
Mau blickte zu den zwei Brüdern hinüber, die einer hochschwangeren Frau aus dem Boot halfen.
»Zeig ihnen den Weg. Ich werde mich beeilen!«, sagte er und rannte los.
Sind Hosenmenschenfrauen wirklich genau wie richtige Frauen?, fragte er sich im Laufen. Das Geistermädchen wurde sehr wütend, als ich das Bild zeichnete. Legten sie jemals ihre Kleidung ab? Oh, bitte, sie darf nicht nein sagen!
Und während er im unteren Wald durch Bäume, Gestrüpp und Vogelgezwitscher rannte, war sein nächster Gedanke: Zu wem habe ich gerade »bitte« gesagt?
Daphne lag mit einem Handtuch um den Kopf im Dunkeln. Die Luft im Wrack war zwar entsetzlich stickig, doch es galt, schließlich die Form zu wahren. Ihre Großmutter hatte stets größten Wert auf die Wahrung der Form gelegt. Sie war ständig auf der Suche nach der nächsten Form, die sie wahren konnte, und wenn keine zu finden war, hatte sie sich selbst welche ausgedacht, für deren Wahrung sie dann auch sorgte.
In der Hängematte des Captains zu schlafen gehörte wahrscheinlich nicht zur Formwahrung, aber ihre Matratze war feucht und klebrig vom Salz. Alles war feucht. Hier wurde nichts richtig trocken, doch sie konnte auch unmöglich ihre Wäsche draußen am Strand aufhängen, weil dann Männer ihre Höschen gesehen hätten, was ganz eindeutig keine Formwahrung gewesen wäre.
Die Hängematte schaukelte sanft hin und her. Sie war zwar unbequem, aber sie
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