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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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sie jedoch und bedachte Daphne mit einem Blick, der unverkennbar besagen sollte: Ach, und wer bist du, dass du alles zu wissen glaubst? Dann zog und zupfte sie weiter an Maus Beinen herum, nur um klarzustellen, dass sie das Kommando übernommen hatte. Schließlich blickte sie zu Cahle und redete unglaublich schnell auf sie ein. An einer Stelle lachte Cahle und schüttelte den Kopf.
    »Sie sagt, er ist in der…« Cahle hielt inne, und ihre Lippen bewegten sich, als suchte sie nach einem Wort, von dem sie glaubte, dass Daphne es verstehen würde. »Zwischenwelt«, sagte sie schließlich. »Ort der Schatten. Zwischen Leben und Tod.«
    »Wo ist dieser Ort?«, fragte Daphne.
    Wieder ein schwieriges Übersetzungsproblem. »Ein Ort ohne Orte – man kann dort nicht herumlaufen. Man kann dort nicht schwimmen. Kein Meer. Kein Land. Nur Schatten. Ja, die Schattenwelt!«
    »Wie komme ich dorthin?« Diese Frage wurde an Mrs. Glucker weitergegeben, und die Antwort kam prompt.
    »Du? Gar nicht!«
    »Versteh doch, er hat mich vor dem Ertrinken gerettet! Ich verdanke ihm mein Leben, hörst du? Außerdem ist das doch bei euch so Sitte. Wenn jemand einem das Leben rettet, steht man in dessen Schuld, und man muss diese Schuld begleichen. Und genau das will ich tun!«
    Mrs. Glucker schien davon recht angetan zu sein, als es ihr übersetzt wurde. Sie antwortete darauf.
    Cahle nickte. »Sie sagt, wenn du in die Schattenwelt gehen willst, musst du sterben. Sie fragt, ob du weißt, wie das geht.«
    »Du meinst, es ist etwas, dass man üben muss?«
    »Ja. Viele Male«, sagte Cahle seelenruhig.
    »Ich dachte immer, man hätte nur einen einzigen Versuch!«, sagte Daphne.
    Plötzlich hockte Mrs. Glucker direkt vor ihr. Die alte Frau musterte sie mit ernstem Blick und drehte Daphnes Kopf hin und her, als würde sie in ihrem Gesicht nach etwas suchen. Und dann, bevor Daphne etwas dagegen tun konnte, hatte die alte Frau nach ihrer Hand gegriffen, drückte sie sich an die Brust und hielt sie dort fest.
    »Bumm-bumm?«, fragte sie.
    »Dein Herzschlag? Äh… ja«, sagte Daphne, die sich nach Kräften, aber erfolglos bemühte, ihre Scham zu unterdrücken.
    »Er ist recht schwach – ich meine, du hast sehr… sehr viel…«
    Das Herz hörte auf zu schlagen.
    Daphne versuchte, ihre Hand zurückzuziehen, doch die Frau ließ sie nicht los. Mrs. Gluckers Gesichtsausdruck wurde leer und wirkte konzentriert, so als würde sie eine mittelschwere Kopfrechenaufgabe anstellen. In der Hütte schien es dunkler zu werden.
    Daphne konnte nicht anders – sie fing leise an zu zählen.
    »… fünfzehn… sechzehn…«
    Und dann bumm.. , so schwach, dass sie es kaum spürte…
    bumm diesmal etwas lauter… bumm-bumm… jetzt schlug das Herz wieder normal. Die alte Frau lächelte.
    »Äh…ich könnte es probieren…«, setzte Daphne an. »Zeig mir einfach, was ich tun muss!«
    »Die Zeit ist zu knapp, um es dir beizubringen, sagt sie«, übersetzte Cahle. »Sie sagt, es dauert ein ganzes Leben, das Sterben zu lernen.«
    »Ich lerne sehr schnell!«
    Cahle schüttelte den Kopf. »Dein Vater sucht nach dir. Er ist ein Häuptling der Hosenmenschen, richtig? Wenn du tot bist, was sollen wir ihm sagen? Wenn deine Mutter um dich weint, was sollen wir ihr sagen?«
    Daphne spürte, wie ihr die Tränen kamen, und versuchte sie zurückzuhalten.
    »Meine Mutter… kann nicht mehr weinen«, stieß sie hervor.
    Wieder blickten Mrs. Gluckers kleine, dunkle Augen in ihr Gesicht, als wäre es klares Wasser – und auf einmal hockte Daphne in ihrem Nachthemd mit den kleinen, blauen Blumen auf der Treppe, die Arme um die Knie geschlungen, während sie voller Entsetzen den kleinen Sarg anstarrte, der auf dem großen stand. Und sie schluchzte, weil der kleine Junge anstatt zusammen mit seiner Mutter nun ganz allein in einer Kiste begraben werden sollte und so schreckliche Angst haben würde. Sie konnte die gesenkten Stimmen der Männer hören, die mit ihrem Vater sprachen, und das Klirren der Brandy-Karaffe, und sie roch sogar den uralten Teppich.
    Dann das Grummeln einer aktiven Verdauung, und plötzlich saß Mrs. Glucker auf dem Teppich, kaute gepökeltes Rindfleisch und beobachtete Daphne mit interessiertem Blick. Die alte Frau stand auf, nahm den kleinen Sarg und stellte ihn behutsam auf den Teppich. Dann öffnete sie den Deckel des großen Sarges und sah Daphne erwartungsvoll an.
    Von unten waren Schritte zu hören, als ein Hausmädchen über den gefliesten Boden der Diele

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