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Eine Insel

Eine Insel

Titel: Eine Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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benutzte, versperrte ihr den Weg. Während sie sich vorsichtig an dem Vieh vorbeizwängte, ahnte sie noch nicht, dass die Spinne ihr einen großen Gefallen erwiesen hatte. Denn am Ende des Weges schlug ihr jede Menge frische Luft entgegen, jedoch knapp dahinter gab es nichts mehr, worauf man hätte stehen können, um sie zu genießen. Hier war nur noch eine kleine Lichtung, gerade groß genug für ein paar Leute, die sich hinsetzen und die Welt bewundern wollten, doch gleich danach fiel der Felsen steil zum Meer ab.
    Die Klippe war zwar durchaus steil, aber nicht ganz senkrecht.
    Man würde vermutlich ein paarmal aufschlagen, bevor man irgendwann im Wasser landete.
    Sie nutzte die Gelegenheit zu ein paar tiefen Atemzügen, in denen zur Abwechslung mal keine Fliegen enthalten waren. Es wäre so schön gewesen, am Horizont ein Segel zu sehen. Das hätte auch ziemlich gut an diesen Punkt ihrer Geschichte gepasst, dachte sie. Aber wenigstens war noch immer helllichter Tag. Sie hatte keine Angst vor den Geistern anderer Leute, jedenfalls keine große, aber einen abendlichen Spaziergang durch diesen Wald wollte sie tunlichst vermeiden.
    Eigentlich konnte es nicht so schwer sein, den Rückweg zu finden. Sie musste einfach immer den hangabwärts führenden Pfad nehmen, sobald sie auf einen stieß. Zugegeben, bei jeder Gelegenheit den nach oben führenden Pfad zu nehmen beziehungsweise jeden, der nicht von bösartigen Exemplaren »bedauerlicher Ausnahmen« versperrt wurde, hatte nicht so gut funktioniert, aber am Ende konnte nur die Logik triumphieren.
    Und so war es auch, zumindest in gewisser Weise. Denn nachdem sie ein Stück zurückgegangen und eine andere Abbiegung genommen hatte, kam sie in ein kleines Tal, das von Ausläufern des Berges umarmt wurde, und direkt vor ihr stand der Stein. Es konnte gar nichts anderes sein als »der Stein«.
    Hier und dort wuchsen ein paar Bäume im Tal, aber es waren eher bemitleidenswerte, schon halbtote Geschöpfe. Der Boden darunter war mit den Hinterlassenschaften der Vögel bedeckt.
    Ein Stück vor dem Stein, auf einem Dreifuß aus großen Felsblöcken, stand eine gewaltige Steinschale. Daphne lugte mit verschämter Neugier hinein, denn irgendwie war dies genau der Ort, an dem man damit rechnete, in solch einer steinernen Schale ein paar Totenschädel zu finden. Irgendwo im Gehirn gab es eine Formel, die lautete: düsteres Tal + halbtote Bäume + mysteriöser Stein = Schädel in einer Opferschale oder vielleicht auf Stöcke gespießt.
    Aber noch während sie daran dachte, spürte Daphne, dass sie ungerecht gegenüber Mau und Cahle und den anderen war. In ihren alltäglichen Gesprächen kamen nie Totenschädel auf den Tisch. Und schon gar nicht während der Mahlzeiten.
    Der widerliche Gestank nach saurem, klebrigem Teufelstrank stieg von der Schale auf. Das Bier roch abgestanden, aber es konnte von Anfang an nicht besonders gut gewesen sein. Sie gab es nur ungern zu, aber inzwischen war sie richtig gut im Bier machen geworden. Das sagten alle. Es ging irgendwie um den richtigen Dreh, hatte Cahle erklärt, halb mit Worten und halb mit Gesten, und da sie so gutes Bier machen konnte, durfte sie auf einen tadellosen Ehemann hoffen. Ihre künftige Heirat schien im Frauenhain ein sehr beliebtes Gesprächsthema zu sein. Es war wie in einem Roman von Jane Austen, nur mit viel weniger Kleidung.
    Hier oben war es recht windig und kühler als unten. Kein Ort, an dem man sich nachts aufhalten wollte.
    Nun gut, es wurde Zeit, zu sagen, was sie zu sagen hatte.
    Sie baute sich vor dem Stein auf, stemmte ihre Fäuste in die Hüften und sagte: »Jetzt hört mir mal gut zu! Ich kenne mich mit Vorfahren aus! Ich habe jede Menge davon! Einer von ihnen war sogar König, also erzählt mir nichts! Ich bin wegen Mau gekommen! Er macht wunderbare Sachen und hat mehrmals sein Leben aufs Spiel gesetzt, und ihr habt für ihn kein einziges Wort des Dankes übrig! Das sind ziemlich schlechte Manieren!«
    Na ja, das sind exakt die Manieren deiner Vorfahren, meldete sich ihr Gewissen. Schau dir nur an, wie ihre Porträts dich in der Langen Galerie anstarren! Und was ist mit deinem Vater, der sein ganzes Geld in das Anwesen steckt, bloß weil sein Ururururgroßvater es gebaut hat? Genau was ist eigentlich mit deinem Vater?
    »Ich weiß, was mit Leuten passiert, die ständig schikaniert werden«, rief sie, diesmal sogar noch lauter. »Am Ende denken sie selbst, dass sie nichts taugen! Dann spielt es auch keine Rolle,

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