Eine italienische Kindheit
Ende ist, gehen sie gleich wieder.› Sie verdienen Tausende Lire am Tag, man findet keine Putzfrau mehr. Für die Besatzer ist es so, als ob sie in irgendeiner wilden Steppe gelandet wären. Sie haben nicht einmal den leisesten Verdacht, dass sich in den zwanzig Jahren irgendwas im Geist und im Bewusstsein erhalten haben könnte.»
Amerikanische Jeeps bei der Einfahrt nach Rom
Was mich betrifft, so bemerkte ich bald auch, dass die alliierten Truppen nicht nur aus Engländern und Amerikanernbestanden. Das konnte ich schon aus nächster Nähe beobachten. Das große Hotel Quirinale an der Via Nazionale, das an der Ecke zur Via Firenze lag, also unserer Wohnung fast gegenüber, war beschlagnahmt worden, um die neuseeländische Truppeneinheit, die an der Schlacht von Montecassino teilgenommen hatte, dort unterzubringen. Den Neuseeländern gegenüber hatte ich keine Vorbehalte, und so fand ich Gelegenheit, mich ihnen zu nähern. Unter ihnen befanden sich, wie ich feststellte, auch Soldaten aus dem Volk der Maori, der Ureinwohner Neuseelands. Sie waren von etwas dunklerer Hautfarbe als die Soldaten englischer Abstammung. Ich kam mit einem von ihnen, der ein bisschen Italienisch gelernt hatte, ins Gespräch und erfuhr, dass es eine ganze Einheit von Maori-Soldaten gab, die sich freiwillig gemeldet hatten, um die Anerkennung als volle neuseeländische Bürger mit allen ihren Rechten zu erhalten. Dann begegnete ich bei einem Spaziergang auf dem Viminal auf dem Platz vor dem Innenministerium einem ebenfalls dunkelhäutigen Soldaten, der jedoch einen Turban trug – eine freudige Überraschung für mich, der ich gerade begeistert die Abenteuerromane von Emilio Salgari las. Einige dieser Romane spielten in Indien, und Turbane kamen in den Geschichten massenweise vor. Ich erinnere mich, wie ich mit ihm zusammen auf einer Bank saß und eine schwierige Unterhaltung mit ihm führte, denn der arme Soldat mit dem Turban konnte nur wenige Brocken Italienisch. Ich konnte ihm nur entlocken, dass auch er an der Schlacht von Montecassino teilgenommen hatte, und zwar in einem Regiment der für mich mythischen «Sepoy», von deren blutigem Aufstand, der den Briten sehr zu schaffen gemacht hatte, ich ausführlich in einem Roman von Salgari gelesen hatte.
Dann begann man in Rom auch von den Übergriffen eines anderen Regiments zu reden, das einen entscheidenden Anteil an der Belagerung Montecassinos gehabt hatte. Auch diesmal handelte es sich um Kolonialtruppen, jedoch um französische, die berüchtigten Marokkaner von General Alphonse Juin. Sie hatten, nachdem die Deutschen sich endlich den Alliierten ergeben hatten, im Gebiet von Cassino geplündert und gemordet und Frauen und Männer der armen Bauernbevölkerung vergewaltigt. Ihrer zerstörerischen Wut waren sogar alte Frauen und Kinder nicht entkommen, selbst ein Pfarrer blieb nicht verschont. Dies alles geschah unter den Augen der französischen Offiziere, man weiß nicht, mit welcher Duldung, denn diese hatten den Italienern den «Dolchstoß in den Rücken» von 1940 nicht verziehen. Die Plünderungen der Marokkaner waren das letzte Kapitel im mörderischen Kampf der Alliierten um die Befreiung Roms. Die Franzosen grollten den Italienern auch deshalb, weil diese Anfang des Kriegs einige kleinere Gebiete in Südfrankreich besetzt hatten; besonders hatte sie die Annexion der kleinen Stadt Menton an der Grenze zu Italien erbittert.
Hass und Verachtung gegenüber den Italienern verheimlichten aber auch die Engländer nicht. Der schon mehrmals zitierte Corrado Alvaro, der gleich nach der Befreiung Roms mit Briten verkehrte, verzeichnet in seinem Tagebuch mehrere Unterhaltungen mit englischen Offizieren, von denen er die unangenehmsten Dinge über die Italiener hörte. Einer erklärte, «tiefste Verachtung gegenüber einem Volk zu verspüren, das hier in englischer, dort in deutscher Uniform kämpft». Dies war ein unglaublich oberflächliches Urteil. Kein Italiener hatte im Krieg in fremder Uniform gekämpft,schon gar nicht in englischer. Die Partisanen, auf die der britische Offizier hier offensichtlich anspielte, waren Formationen auf freiwilliger Basis und trugen keine Militärkleidung. Sie agierten unabhängig von den Alliierten und erhielten allenfalls Waffen und Munition von ihnen. Die Borniertheit des Urteils verwundert auch deshalb, weil die Resistenza eine der wenigen rühmlichen Seiten der neueren italienischen Geschichte ist und einen Versuch darstellte, die Schande der
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