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Eine italienische Kindheit

Eine italienische Kindheit

Titel: Eine italienische Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Zapperi
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zwanzigjährigen faschistischen Diktatur abzuwaschen. Andere britische Offiziere, erzählt Alvaro, fanden die Lynchjustiz gegenüber dem Gefängnisdirektor Carretta ein typisches Beispiel für die italienische Mentalität. Man muss den Amerikanern zugute halten, dass sie nie eine solch hochmütige Haltung gegenüber den Italienern an den Tag legten.
    Die Erfahrungen dieser Wochen hatten mich gelehrt, dass die Alliierten Truppen aus fünf Kontinenten und sogar aus Ozeanien versammelt hatten, um das nationalsozialistische Deutschland zu bekämpfen. Die ganze Welt lag also im Krieg mit Deutschland. Um zu erkennen, dass meine positive Meinung über die deutschen Soldaten falsch war, brauchte ich aber noch ein weiteres Jahr.

8. Catania
    Die Ankunft der Amerikaner unterbrach den Geschäftsverkehr meines Vaters mit Florenz und stellte ihn vor das Problem, eine neue Lösung für seine Arbeit zu finden. Zum Glück suchte ihn ein alter Bekannter auf, der im Hafen von Neapel ein kleines Schiff für den Küstenhandel in Kompanien liegen hatte. Ich weiß nicht, was es transportierte, aber es fand das Interesse meines Vaters, der sich mit diesem Bekannten zusammenschloss und einen neuen Handel begann. Deshalb ging er im Juli 1944 nach Neapel und ließ kurz darauf auch die Familie nachkommen. Die Wohnung in Rom behielt er jedoch. Er fand eine Bleibe für uns in Resina, einige Kilometer südlich von Neapel, und brachte uns dort unter. Unsere Übersiedlung dorthin erfolgte in zwei, wenn nicht mehr Etappen. Ich erinnere mich nur, dass ich auf einem offenen kleinen Lastwagen voller Säcke reiste. Die Fahrt ging über eine immer wieder unterbrochene Straße voller Löcher durch verwüstete, zum Teil dem Erdboden gleichgemachte Dörfer. Überall sah man kahle Bäume, Schutthaufen, Berge von Abfällen ohne Vegetation, Bombenkrater, neu entstandene spitze Hügel – eine öde, verlassene Gegend, in der hier und da ausgebrannte Lastwagen und die Karkassen von Panzern lagen. Ab und zu begegneten wir einem Bauern, der, den Minen trotzend, mit denen die Deutschen den Boden gespickt hatten, zur Arbeitauf den Feldern zurückkehrte. Eine trostlose Landschaft, in der die alte Armut von den neuen Verheerungen überlagert wurde. Wenn der Krieg weiterzieht, hinterlässt er Spuren, die lange noch sichtbar bleiben.
    Nach Neapel selbst kam ich jedoch nie. Mein Vater fuhr jeden Tag allein in die Stadt und nahm mich nie mit. In Resina, einem dicht bevölkerten Ort, in dem die bettelarmen Einwohner den oft unwahrscheinlichsten Geschäften nachgingen, um sich das Nötigste zum Leben zu beschaffen, wusste ich nicht, was ich anfangen sollte. Von den schmutzigen, zerlumpten und gewalttätigen Jungen des Orts hielt ich mich fern. Unten im Haus hatte in einer kleinen Kammer ein alter Handwerker seine Werkstatt. Er stellte nach Schablonen pseudoantike Kameen aus weißem weichen Stein her, die für Anhänger und Ringe gedacht waren, und verbrachte, über seine Arbeit gebeugt, den ganzen Tag auf solche Weise. Ich besuchte ihn zuerst aus Neugier und ging dann öfter zu ihm, um die drückende Langeweile zu vertreiben. Ich beobachtete ihn bei seiner Arbeit und bewunderte sein Geschick. Aber bald langweilte mich auch das, denn wir hatten wenig Gesprächsthemen. Zum Glück blieb ich nicht lange in Resina, weil mein Vater beschloss, mich nach Catania zu schicken, wohin mein Bruder auf seinen Wunsch schon zurückgekehrt war.
    Für die Reise vertraute mich mein Vater im Oktober 1944 zwei jungen Männern an, die nach Salerno gingen, von wo aus, wie er erfahren hatte, ein Zug nach dem Süden abfahren sollte. Wir kamen spätabends in Salerno an und übernachteten gegen Bezahlung in einem halb zerstörten Haus ohne Dach. Es gab nur ein paar Matratzen auf dem Boden und Decken dazu. So verbrachten wir die Nacht. Die Stadtwar in einem desolaten Zustand, überall lagen Trümmer, man sah viele halb eingestürzte Häuser, und die Straßen hatten große Löcher. Am 9. September 1943 waren hier an der Küste die Amerikaner gelandet, aber die Deutschen hatten erbitterten Widerstand geleistet. Sie trieben die Amerikaner ins Meer zurück, so dass diese nur nach schweren Angriffen aus der Luft und heftigem Kanonenbeschuss durch die Flotte die Deutschen zur Aufgabe der Stadt zwingen konnten. Salerno war der Hauptschauplatz dieser Kämpfe gewesen und hatte schwere Schäden davongetragen, von denen überhaupt noch nichts repariert worden war.
    Am Morgen gingen wir zum Bahnhof. Vor dem

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