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Eine italienische Kindheit

Eine italienische Kindheit

Titel: Eine italienische Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Zapperi
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Wasser zu fischen, was Cola Pesce ohne Schwierigkeiten gelang. Als der König ihm jedoch auftrug, auf dem Meeresboden nachden Fundamenten Messinas zu suchen, tauchte Cola Pesce nicht mehr auf.
    Die ungewöhnliche Überfahrt auf dem Fischerboot dauerte etwa eine Stunde, dann landeten wir in Messina, wo im Bahnhof beim Hafen schon ein Zug wartete, um uns nach Catania zu bringen. Die Bahngleise laufen die Küste entlang, und so stand ich während der ganzen Reise am Fenster und schaute aufs Meer, fasziniert von den breiten, majestätischen Wellen, die es durchfurchten. Kurz vor Catania hielt der Zug im Fischerort Aci Trezza, der die Kulisse für den Roman
Sizilianische Fischer. Die Familie Malavoglia
bildet, das Meisterwerk des in Catania geborenen Dichters Giovanni Verga, das auch ins Deutsche übersetzt und mehrmals neu aufgelegt worden ist. Bei Aci Trezza machte mich meine Beschützerin auch auf die großen Klippen im Meer aufmerksam und erinnerte mich noch einmal an die
Odyssee
und die Geschichte von Odysseus und dem Zyklopen Polyphem, die ich ebenfalls in der Schule gelesen hatte. Aus Rache dafür, dass Odysseus ihn auf seinem einzigen Auge geblendet hatte, schleuderte der Riese große Felsbrocken vom Ätna gegen das kleine Boot der Flüchtenden, ohne es zu treffen –ebenjene «Faraglioni» oder «Scogli dei Ciclopi», die hier aus dem Meer hervorragen.
    Auf diese mühsame Weise kehrte ich wieder nach Catania zurück. Abgesehen von den Trümmern, welche die Luftangriffe hinterlassen hatten und die zwar noch nicht weggeräumt, aber doch sorgfältig aufgeschichtet worden waren, war die Stadt dieselbe, die ich verlassen hatte. Mein Bruder hatte unsere Wohnung im alten Zustand vorgefunden, mit unversehrten Balkontüren, obwohl diese nur von den Innenläden abgesichert waren, alles so, wie wir es zurückgelassenhatten. Möbel und andere Einrichtungsgegenstände standen an ihrem Ort, nichts fehlte. Zum Glück hatte sich das organisierte Verbrechen damals noch nicht in Catania eingenistet; es vergingen noch Jahre, bis es, wenngleich mit verminderter Virulenz, auch hier Einzug hielt. Catania galt als die Hauptstadt der sogenannten «provincia babba», der Provinz der Tölpel, wie die Bewohner Westsiziliens sie verächtlich nannten. Im Westen der Insel herrschte dagegen sehr viel mehr Gewalt als im östlichen Teil, wo die Mafia lange unbekannt war. Ich war nicht aus Heimweh nach Catania zurückgekehrt, sondern auf Anweisung meines Vaters, nicht aus eigenem Antrieb kam ich wieder, sondern weil mein Vater es gewünscht hatte. Doch war Catania aufs neue Realität, und die Vergangenheit erwies sich als sehr viel stärker als die Gegenwart; sie entfaltete wieder ihre ganze Sogkraft. Ich ging auf die Suche nach der vergangenen Zeit und tat es fast heimlich. Mir fehlte mein in Rom getöteter Bruder, und wenn ich hier, wo wir geboren und aufgewachsen waren, wieder an ihn dachte, überwältigte mich die Erinnerung. Er hatte mir alle Spiele beigebracht, wir hatten zusammen mit den Bleisoldaten gespielt und Briefmarken gesammelt, wobei wir eine Vorliebe für solche aus den englischen Kolonien mit ihren pastellfarbenen exotischen Tieren entwickelt hatten. Ich erinnerte mich an die bebilderten Heftchen und die Abenteuerromane, die wir gelesen hatten. Heute ist es mir klar: Der Krieg hat mich verändert, und ohne den Krieg wäre ich ein völlig anderer Mensch geworden. Davon hatte ich aber bei meiner Rückkehr nach Sizilien nur eine vage Ahnung.
    Ich blieb länger in Catania, als ich es mir anfangs vorgestellt hatte. Der Konflikt zwischen meinem Vater, der mit demRest der Familie wieder in Rom lebte, und meiner Mutter, die darauf drängte, nach Catania zurückzukehren, befand sich damals in seiner heißesten Phase. Mein Vater wollte von einer Rückkehr nach Sizilien nichts wissen, weil seine Geschäfte in Rom wieder angelaufen waren und er in Catania nichts zu tun hatte. Doch da er nicht den Mut hatte, meiner Mutter alle Hoffnungen auf eine Rückkehr in ihr heimatliches Milieu zu nehmen, wo sie Verwandte und Freunde hatte, die sie in Rom nie finden würde, ließ er mich und meinen Bruder als eine Art Bürgschaft in Catania, im vorgeblichen Hinblick auf eine Rückkehr der ganzen Familie nach Sizilien. Aber es war Augenwischerei, er ging nie mehr nach Sizilien zurück. Derweilen lebten mein Bruder und ich in unserer alten Wohnung, wo unsere Großmutter väterlicherseits, die in Catania geblieben war, für uns sorgte. Ich muss gestehen,

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