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Eine italienische Kindheit

Eine italienische Kindheit

Titel: Eine italienische Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Zapperi
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dass mich damals die Aussicht, nach Rom zu ziehen, wenig begeisterte, da ich dort auf so große Schwierigkeiten gestoßen war. So meldete ich mich in Catania wieder in der Schule an.
    Damals ließ mein Bruder ein pompöses Foto von mir machen, das auf den März 1945 datiert ist. Der Fotograf begriff schnell, wie er meine Erwartungen erfüllen konnte. Als er mich in meinem Sonntagsanzug sah, stellte er mich vor eine Leinwand mit einer grob gemalten, geradezu grotesken Landschaft, wo in der Ferne ein Schloss mit breiter Freitreppe und einer Marmorbrüstung zu sehen war. Wahrscheinlich benutzte er diesen Hintergrund gewöhnlich für die Fotos der bäuerlichen Paare, die zur Hochzeitsreise in die Stadt kamen. Neben mir ein Sessel und ein Tisch aus Bambus, auf den mich der Fotograf die rechte Hand mit dem Taschentuch legen ließ. Sicher auf meinen Wunschwurde auch ein Buch auf den Tisch gelegt, das meine intellektuellen Ambitionen bezeugen sollte. Vor dieser Staffage konnte ich mich mit meinem neuen doppelreihigen Anzug, den langen Hosen, der Krawatte und dem Einstecktuch als kleiner junger Herr abkonterfeien lassen. Als ich dieses alte Foto wieder in die Hand nahm, kam mir die figurative Tradition des europäischen Staatsporträts in den Sinn, und ich erkannte in meinem fotografischen Bildnis den letzten ärmlichen Widerschein jenes Modells wieder. Dank der Kunst, wenn man so sagen will, eines Provinzfotografen stand ich da in der Pose von Kaisern, Königen und Fürsten, ausgerechnet ich, ein Junge von gerade dreizehn Jahren, der in der Schule nicht brillierte und sogar ein Ungenügend in Französisch bekam, einer der wenigen Misserfolge meiner schulischen Laufbahn.
    In Catania erreichte mich ein Buch, das mein Vater in Florenz, wohin er öfter wieder geschäftlich reiste, für mich gekauft hatte. Ich besitze dieses Buch immer noch. Es handelt sich um eine Monographie zur sizilianischen Geschichte des 18. Jahrhunderts, auf deren erstem Blatt eine große Widmung meines Vaters mit dem Datum 10. März 1945 steht. Es ist schon merkwürdig, dass mein Vater trotz meines jungen Alters und meiner Schwierigkeiten in der Schule dieses Buch ausgerechnet mir schenkte, handelte sich doch um ein Buch für Spezialisten. Ich erinnere mich nicht, ob ich es damals las, wahrscheinlich nicht, aber dieses Geschenk meines Vaters machte mir großen Eindruck und sollte mitentscheidend dafür werden, dass ich Historiker wurde. Wenn es heute noch zwischen meinen Büchern steht, so bedeutet dies, dass ich ihm immer großen Wert beimaß. Für meine universitäre Abschlussarbeit wählte ich dann bezeichnenderweiseein Thema aus der sizilianischen Geschichte des 18. Jahrhunderts, wozu mir dieses Buch letztlich den Anstoß gab. Mein Vater hatte schon jung die Schule verlassen müssen und es immer sehr bedauert, dass er nicht einmal ein Fachschuldiplom hatte erwerben können. Tief im Herzen hegte er vage intellektuelle Ambitionen, so dass er wenigstens einen seiner Söhne dazu ausersah, sie an seiner Stelle zu verwirklichen. Die Wahl fiel auf mich, weil ich der jüngste seiner Söhne war und seiner Meinung nach am ehesten bereit, diesen Weg einzuschlagen. Die beiden älteren sollten dagegen Kaufleute wie er selbst werden und ihm zur Hand gehen. Auch dieser Wunsch ging in Erfüllung. Mein ältester Bruder, den der Krieg verschont hatte, trat in die Fußstapfen meines Vaters.
    Roberto Zapperi 1945 in Catania
    Mein Vater war gewiss ein Mann anderer Zeiten. Er wuchs auf, als in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts Italien, und ganz besonders Sizilien, noch im Gestrüpp einer traditionellen, weitgehend vorkapitalistischen Wirtschaft verfangen war. Die Gesellschaft bot nur wenige Arbeitsmöglichkeiten, und vielen blieb nichts anderes übrig, als sich mit Notbehelfen aller Art durchs Leben zu schlagen. Dies war die allgemeine Lage, und doch war meinem Vater ein recht abenteuerliches Leben beschieden. Als Sohn eines Zeitungshändlers, der nicht einmal einen eigenen Kiosk besaß, besuchte er nach der fünfjährigen Grundschule eine Schule zur Vorbereitung auf eine Offizierslaufbahn in der Handelsmarine. Der plötzliche Tod seines Vaters zwang ihn aber, die Schule abzubrechen und Arbeit zu suchen, um seine Mutter und seine drei jüngeren Brüder zu ernähren. Seine Mutter brachte ihn als Lehrling bei einem Möbelschreiner unter, aber er sprach nicht gerne von diesem erstenBeruf. Ich war schon erwachsen, als er mir gestand, eine solche Lehre gemacht zu

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