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Eine italienische Kindheit

Eine italienische Kindheit

Titel: Eine italienische Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Zapperi
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zur Zwangsdeportation von Arbeitskräften für Deutschland mit einer großen Revolte reagiert hatten. Die wichtigsten im Staatsarchiv bewahrten Dokumentenreihen waren zum Schutz vor amerikanischen Bombenangriffen in die Villa Montesano in San Paolo Belsito bei Nola gebracht worden, die von deutschen Soldaten beim Rückzug in Brand gesteckt wurde. Allerdings scheint die deutsche Militärführung, wie Lutz Klinkhammer in einer dokumentierten Studie dargelegt hat, nicht gewusst zu haben, welches Gut die Villa Montesano barg, noch von welcher Bedeutung es war. Nach dem Aufstand waren deutsche Pioniertrupps damit beauftragt worden, im Umland von Neapel alle nur irgendwie nutzbaren Gebäude in die Luft zu sprengen. Die Villa Montesano war in ihren Augen ein solches Objekt. Erst im letzten Augenblick versuchte der beunruhigte Direktor des Staatsarchivs das deutsche Kommando über das dort lagernde Archiv in Kenntnis zu setzen. Aber da war es zu spät. Die Pioniere führten, informiert oder nicht, ungerührt den ihnen erteilten Auftrag aus. Beim Brand der Villa wurden unter anderem die umfangreichen mittelalterlichen Kanzleiregister zerstört, grundlegende Quellen für drei Jahrhunderte Geschichte des Königreichs Neapel und seiner europäischen Verbindungen. Als man sich nach dem Krieg daranmachte, dieses wertvolle Material mit Hilfe erhaltener Kopien zu rekonstruieren, wurde dazu weitgehend der Nachlass des deutschen Mediävisten Eduard Sthamer herangezogen, der viele dieser Dokumente in seinen Studien benutzt und transkribiert hatte. So machte die Arbeit einesdeutschen Gelehrten den Vandalismus seiner Landsleute in Uniform wenigstens zu einem kleinen Teil wieder gut. Für mich, der ich mich auf den Beruf des Historikers vorbereitete, war diese willkürliche Vernichtung eines Archivs eine besondere Barbarei, die ich nicht verstand. Im neapolitanischen Staatsarchiv war nämlich nicht nur die Geschichte des Königreichs Neapel aufbewahrt. Seit dem 18. Jahrhundert lagerte hier auch ein großer Teil des Archivs der Familie Farnese, der Herzöge von Parma und Piacenza. Der wichtigste Teil dieser Dokumente ging zusammen mit den anderen ausgelagerten Beständen ebenfalls in Flammen auf – ein unersetzlicher Verlust, wie ich später, als ich mich mit der Geschichte der Farnese beschäftigte, feststellen musste.
    Während meines Studiums in Rom hatte ich begonnen, Werke von berühmten deutschen Historikern zu lesen, vor allem die von Ranke und Meinecke. Von Meinecke hatte ich einige ins Italienische übersetzte Schriften gekauft, ich versuchte mich aber auch an den deutschen Originalen. Mehr noch als Meinecke faszinierte mich jedoch Ranke und unter seinen Werken besonders jene zur italienischen Geschichte, darunter die Abhandlung über das Papsttum mit dem Titel
Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten
. Mich begeisterte die Kunst seiner Darstellung. Ich sah, dass Ranke nicht nur ein großer Historiker, sondern auch ein großer Schriftsteller war, und lernte von ihm, dass Geschichte vor allem erzählend dargestellt werden sollte.
    Ende der fünfziger Jahre begann ich das Deutsche Historische Institut in Rom und seine große Bibliothek zu frequentieren. Unter den jüngeren deutschen Historikern, die ich hier kennenlernte, gewannen besonders zwei Bedeutung für mich. Sie waren beide älter als ich und hatten jung noch inder Wehrmacht am Zweiten Weltkrieg teilnommen. Keiner von ihnen hatte mit den Nationalsozialisten sympathisiert. Mit dem ersten unterhielt ich mich verschiedentlich über die jüngste deutsche Geschichte, aber auf meine drängenden Fragen konnte er mir keine befriedigenden Antworten geben. Er bedauerte, wie jetzt alle Deutschen, denen ich begegnete, das irrsinnige nationalsozialistische Abenteuer und den Konsens, den Hitler gefunden hatte, und hoffte auf eine Zukunft von bedingungsloser Zustimmung der Deutschen zur Demokratie. Jedoch sagte er mir nie etwas wirklich Aufschlussreiches über die Ursprünge des Phänomens, obwohl er schon ein erfahrener Historiker war.
    Der zweite Deutsche war für mich von noch größerem Interesse. Er hatte in Italien gekämpft und 1944 an den Kriegshandlungen im Süden von Rom bei Anzio und Nettuno teilgenommen. Auch in Rom war er eine Zeitlang gewesen. Dann wurde er nach Venetien versetzt und erlebte hier das Ende des Kriegs. Seinen Erzählungen, an denen nicht zu zweifeln war, entnahm ich, dass er sich während der deutschen Besatzung nichts hatte zuschulden kommen

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