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Eine italienische Kindheit

Eine italienische Kindheit

Titel: Eine italienische Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Zapperi
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Alters.
    Eine ähnliche Reflexion über die Grausamkeit, die der Krieg zwangsläufig mit sich bringt, fand ich neulich in einem Film von Giorgio Diritti mit dem Titel
L’uomo che verrà
. Er handelt vom Massaker in Marzabotto, einem abgelegenen Apenninen-Dorf in der Emilia, das der deutsche Historiker Lutz Klinkhammer detailliert untersucht und rekonstruiert hat.Bei diesem Massaker wurden siebenhundertsiebzig Menschen umgebracht, zum größten Teil Frauen und Kinder. Der Film zeigt deutsche Soldaten, die mit den italienischen Bauern fraternisieren und Zuneigung zu den Kindern und Frauen empfinden, jedoch, sobald es ihnen befohlen wird, nicht zögern, dieselben Frauen und Kinder zu erschießen. Nur ein Soldat hat im Film den Mut, sein auf die wehrlosen Menschen gerichtetes Maschinengewehr nicht abzudrücken. Aber er wird sofort durch einen anderen Soldaten ersetzt, der solche Skrupel nicht kennt.
    Diese große Enttäuschung über die deutschen Soldaten löschte für lange Zeit jede Sympathie für Deutschland in mir aus. Die gewalttätige, grausame Seite der Deutschen, die sich mir offenbart hatte, überlagerte alle meine positiven kindlichen Erinnerungen. Ich wollte nichts mehr von ihnen wissen.

10. Versöhnung
    Erst während meines Universitätsstudiums begann ich mich wieder für Deutschland zu interessieren. Nicht dass meine positiven kindlichen Erinnerungen wieder wach geworden wären, es handelte sich vielmehr um eine intellektuelle Neugier. Ich hatte beschlossen, Geschichte zu studieren, und besuchte an der Universität Rom die Vorlesungen des Philosophen und Germanisten Carlo Antoni und des Historikers Federico Chabod. Federico Chabod war zweifellos der bedeutendste italienische Historiker des 20. Jahrhunderts. Er war vor dem Zweiten Weltkrieg Schüler von Friedrich Meinecke in Berlin gewesen, von dem er mit größtem Respekt sprach und schrieb. Beide Universitätslehrer empfahlen ihren Studenten, gut Deutsch zu lernen und auch die anderen drei wichtigen Sprachen Europas, Französisch, Englisch und Spanisch, nicht zu vernachlässigen. Ich hatte selbst schon gemerkt, dass die deutsche Geschichtsschreibung in den Studien großes Ansehen genoss und sehr umfangreich war, aber nur weniges davon war ins Italienische übersetzt worden.
    Ich belegte deshalb einen Deutschkurs an der Universität, den ein Österreicher hielt, doch bei ihm lernte ich nur die ersten Anfangsgründe, also nicht viel. Als ich dann mein erstes Geld verdiente, nahm ich Privatunterricht bei einer Deutschen. Danach hatte ich noch verschiedene weitereDeutschlehrer oder besser Deutschlehrerinnen. Vielleicht dachte ich heimlich, dass die Frauen weniger oder gar nicht für die nationalsozialistische Tragödie verantwortlich seien. Ich gab meine Bemühungen um die deutsche Sprache nicht auf und nahm dann auch an einem Deutschkurs in einer Sprachschule teil. Hier unterrichtete eine Dame, deren Muttersprache Deutsch war, und bald stellte sich heraus, dass sie eine in Deutschland geborene und aufgewachsene Jüdin war. Für mich war sie die ideale Lehrerin, denn sie war nicht nur eine Frau und also nicht verantwortlich für deutsche Greuel, sondern als Jüdin auch selbst Opfer der Deutschen gewesen. Unter den Mitschülern des Kurses, in dem nur Deutsch gesprochen werden durfte, befand sich auch ein Mann mittleren Alters, der, wie sich bald zeigte, nur aus uneingestandener Sympathie für Nazi-Deutschland Deutsch lernte. Dies war eine sehr unangenehme Entdeckung, sowohl für mich wie für die Sprachlehrerin, da dieser finstere Typ ihr gegenüber keinen Hehl aus seinen antisemitischen Gesinnungen machte. Am Ende des Kurses bat ich die Dame, mir Privatunterricht zu geben, und so fuhr ich fort, Deutsch zu lernen. Die Lektionen dauerten schon einige Zeit, bis sie mir erzählte, dass sie während des ganzen Kriegs in Deutschland geblieben sei. Sie hatte ihren Namen gewechselt und war von ihrem Geburtsort Hamburg, wo sie bisher gelebt hatte, nach Hannover umgezogen, wo sie niemand kannte. Das hatte zum Glück gereicht, um unversehrt den Krieg zu überstehen.
    Als ich im Staatsarchiv in Neapel zu forschen begann, wurde ich darüber aufgeklärt, dass der wertvollste Teil der Bestände von den Deutschen im Krieg zerstört worden war. Ich wollte Näheres wissen und erfuhr, dass diese Aktion eine Repressaliefür den Volksaufstand der «Quattro Giornate» vom 27. bis zum 30. September 1943 gewesen war, als die aufgebrachten Neapoletaner auf die fortgesetzten Razzien

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