Eine italienische Kindheit
Vatikan beim deutschen Botschafter am Heiligen Stuhl, Ernst von Weizsäcker, und der
Osservatore Romano
, das vatikanische Presseorgan, wies auf die Extraterritorialität der Basilika San Paolo und die dementsprechenden Verträge mit den Deutschen hin. Dies hatte zum Ergebnis, dass Koch zwar einen Bogen um die kirchlichen Gebäude machte, seine Initiativen aber keineswegs aufgab. Als die Alliierten Rom besetzten, floh er nach Mailand, wo er bis zum Ende des Kriegs weiterwütete. Er wurde festgenommen und kam ins Gefängnis San Vittore, aus dem er wieder ausbrach. Erneut festgenommen,wurde er nach Rom gebracht, zum Tod verurteilt und im Forte Bravetta am 5. Juni 1945 hingerichtet.
Es verging noch mehr Zeit, bis ich aus Zeitungsberichten erfuhr, dass die deutschen Soldaten im Sommer 1944 im Gebiet von Lucca zwei grausame Verbrechen an der Zivilbevölkerung begangen hatten, ohne Alte, Frauen und Kinder zu schonen. Das eine Massaker, dem fünfhundert Personen zum Opfer fielen, hatte sich in Sant’Anna di Stazzema, einem kleinen Bergdorf im Nordosten von Lucca, abgespielt, das zweite im «Padule di Fucecchio», einem weiten, ebenen Landstrich im Südosten von Lucca – also gar nicht weit von dem Ort entfernt, wo wir 1943 so viele Monate verbracht hatten. Dieses einst sumpfige Gebiet wurde im 18. Jahrhundert trockengelegt, indem man das Wasser der Bergbäche Pescia und Nievole, das sich hier verlief, kanalisierte. So entstand fruchtbares, für den Ackerbau geeignetes Land, das eng besiedelt und mit Bauernhöfen, Wäldern und Weihern übersät war. Im «Padule» operierte eine kleine Gruppe von Partisanen, die sporadisch deutsche Truppen attackierte. Die Reaktion war wie immer äußerst heftig, aber sie wandte sich nicht gegen die Partisanen, die schwer aufzufinden waren, da sie sich schnell von einem Ort zum anderen bewegten und im Notfall auf dem Gebiet zerstreuten. Sehr viel einfacher und bequemer war es, sich an der Zivilbevölkerung zu rächen, die nicht ganz zu Unrecht beschuldigt wurde, die Partisanen zu unterstützen. Oberst Peter Krasemann, der Kommandant der deutschen Streitkräfte in diesem Gebiet, zögerte nicht, eine solche Vergeltungsaktion durchzuführen, und befahl seinen Soldaten, den ganzen «Padule», Bauernhaus für Bauernhaus, zu durchkämmen und systematisch alle, die sie dort fanden, zu erschießen. Sokam es am 23. August 1944 zu einem wahren Massaker an den wehrlosen Bauern ohne jede Rücksicht auf Alte, Kranke, Frauen und Kinder. Auch Flüchtlinge so wie wir fanden keine Schonung. Die Berichte der wenigen Überlebenden sind erschütternd wegen der Bestialität, mit der die deutschen Soldaten vorgingen. Nach der Durchsuchung wurde jeder Bauernhof in Brand gesteckt, manchmal zusammen mit denen, die sich darin befanden. Bestürzend war es auch für mich zu hören, dass die deutschen Soldaten, die ich doch für besonders ehrlich und unfähig zu solchen Taten gehalten hatte, auch geplündert und gestohlen hatten. Die Säuberungen im «Padule» forderten einhundertzweiundachtzig Todesopfer, darunter zweiundfünfzig Frauen und fünfundzwanzig Kinder. Die Täter waren keine Angehörigen der SS oder der Gestapo, sondern gewöhnliche deutsche Soldaten. Das Bekanntwerden dieses Massakers zeigte auch, wie recht mein Vater gehabt hatte, als er an der Sicherheit unseres Verbleibens auf dem Land bei Lucca zweifelte. Aber dass gerade die von mir verehrten Deutschen unser Leben bedroht hatten, hätte ich nie und nimmer gedacht. Dies aber war die schreckliche Wahrheit. Eines unserer Hausmädchen, das aus den Marken stammte, antwortete einmal unwirsch auf eine positive Bemerkung meinerseits, die Deutschen seien Mörder. Sie hatten nämlich in ihrem Heimatdorf als Repressalie gegen einen Angriff der Partisanen mehrere unschuldige Bauern in der Hauptstraße an den Bäumen aufgehängt. Nur einige fanatische, vom Groll über die Niederlage verblendete Exfaschisten weigerten sich, an die Gräueltaten der Deutschen zu glauben. Zu diesen gehörte ich natürlich nicht und glaubte an die Wahrheit dessen, was jetzt überall berichtet wurde.
Noch weitere Jahre sollten vergehen, bis ich zum ersten Mal bei einer völlig unerwarteten Gelegenheit Näheres von der größten Schuld erfuhr, die die Deutschen während des Kriegs auf sich geladen hatten, von der Schoah, der kalten, systematischen Vernichtung der Juden in den eigens dafür errichteten Konzentrationslagern. Ich befand mich in Spanien, in Simancas, einem abgelegenen Ort
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