Eine italienische Kindheit
vertreten, dass es nötig sei, alle alten Parteien und auch die Kommunisten, die er für vertrauenswürdig hielt, einzubeziehen, um Hitler zu stürzen. Ein Gesichtspunkt, von dem ich nicht weiß, ob er von den anderen Verschwörern geteilt wurde, der aber zeigt, dass Meinecke auf eine demokratische Erneuerung setzte. Was mich sonst noch an seinen Ideen fesselte, waren die Empfehlung, eine starke europäische Integration des befreiten Deutschlands in Form einer politischen Union anzustreben, und natürlich auch der Akzent, den er auf die Aufwertung der großen intellektuellen Traditionen des Landes legte.
Einige Jahre nach meiner Lektüre von Meineckes Schrift erschien das Buch eines jungen italienischen Historikers über das nationalsozialistische Deutschland. Der Autor, Enzo Collotti, ist als einer der besten italienischen Kenner des Dritten Reichs bekannt und auch in Deutschland geschätzt. Einige seiner Bücher sind ins Deutsche übersetzt worden. Das Buch, das ich las, zeichnete ein umfassendes Bild der nationalsozialistischen Herrschaft. Jetzt endlich konnte ich mir eine genauere Vorstellung vom Aufstieg des Dritten Reichs und der Katastrophe machen, in welche die Nationalsozialisten Deutschland gestürzt hatten.
Am Ende war ich mit meinen Deutschkenntnissen immer noch nicht zufrieden, und da ich mich in der Sprache, die ich am meisten liebte, weiter perfektionieren wollte, wandteich mich gegen Ende des Jahres 1960 an Helmut Goetz mit der Bitte, mir jemanden vorzustellen, der mir Deutschstunden geben konnte. Goetz sagte mir, dass im Deutschen Historischen Institut soeben eine junge Stipendiatin aus Deutschland eingetroffen sei, eine Schülerin des Mediävisten Percy Ernst Schramm, die Ingeborg Walter heiße und diese Aufgabe vielleicht übernehmen könne. So lernte ich meine Frau kennen. Wir heirateten Ende 1963 in Deutschland, und in unserem gemeinsamen Leben, das bis heute andauert, nahm und nimmt die Verbindung zur deutschen Kultur einen großen Raum ein. Wir übersetzten zusammen verschiedene historische Schriften ins Italienische, darunter eine Studie Leopold von Rankes zur venezianischen Geschichte:
Venedig im sechzehnten Jahrhundert und im Anfang des siebzehnten
.
Ich habe auch nie den Augenblick vergessen, als Percy Ernst Schramm uns bei einem Aufenthalt in Rom besuchte. Er hatte seine Schülerin aus Göttingen nicht vergessen und wollte sie wiedersehen. Wir luden ihn zum Abendessen ein, und er brachte für mich einen Artikel mit, den er gerade am 19. August 1968 im
Spiegel
veröffentlicht hatte. Es handelte sich um eine längere Besprechung des Buchs von Friedrich-Karl von Plehwe
Schicksalsstunden in Rom
mit der Überschrift: «Es war kein italienischer Verrat.» Hierin wies Schramm nach, dass im Sommer 1943 die italienische Situation einen Punkt erreicht hatte, der keine andere Alternative erlaubte, als den Waffenstillstand mit den Alliierten abzuschließen und das unheilvolle Bündnis mit dem nationalsozialistischen Deutschland zu brechen. Schramm hatte, wie bekannt, während des Kriegs das Tagebuch des Oberkommandos der Wehrmacht geführt und konnte aufgrundseiner eigenen Informationen darlegen, dass Hitler geplant hatte, den italienischen König, die Königin und den Kronprinzen sowie den Generalstab des italienischen Heers gefangen zu nehmen und als Geiseln nach Deutschland zu bringen. Sein Fazit war: «Im Jahre 1943 waren die Italiener in eine militärisch ausweglose Lage geraten, und da ihre Erwartung, auch Hitler werde aus ihr die unausweichliche Konsequenz ziehen, sich als falsch erwies, da sie zudem erkannten, daß die Zuführung neuer deutscher Verbände sich gegen sie richtete, da sie spürten, daß die Deutschen gegen sie einen Gewaltakt vorbereiteten, wie er in der Geschichte noch nie durchgeführt worden war, hatten sie ein moralisches Recht, sich von jeder Vertragstreue loszusagen und –anderes blieb ihnen nicht übrig! – in das Lager des Gegners hinüberzuwechseln. Kein Deutscher hat das Recht, das Verhalten der Italiener im Jahre 1943 als ‹Verrat› zu brandmarken.» Damit wischte er alle im Nachkriegsdeutschland noch so oft erhobenen Anschuldigungen, Italien habe genauso wie 1915 Verrat begangen, entschieden vom Tisch. Es war eine feine Geste von ihm, uns diesen Artikel als Gastgeschenk mitzubringen. Ich bewahre ihn noch heute auf.
Deutscher Epilog
Deutschland ist mir gegenüber sehr generös gewesen. In Deutschland fand ich meine Frau und meine besten Freunde. Der mir
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