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Eine Japanerin in Florenz

Eine Japanerin in Florenz

Titel: Eine Japanerin in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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die Sie derzeit arbeiten?«
    »Ein paar. Kleine Fische. Das Mädchen da draußen erledigt das. Ich brauche ihr nicht viel zu zahlen, und sie braucht nicht viel zu arbeiten. Wahrscheinlich verbringt sie die Hälfte ihrer Zeit damit, E-Mail-Witze an ihre Freunde zu verschicken.«
    »Ich nehme an, daß sie sich auch um die Buchhaltung Ihres Vaters gekümmert hat.«
    »Dafür bekommt sie schließlich jeden Monat einen Gehaltsscheck.«
    »Und ihr kam nie ein Verdacht?«
    »Warum sollte sie sich Gedanken machen? Ging sie doch nichts an, wofür mein Vater sein Geld ausgab.«
    »Ihr Vater hat dieses Geld nicht ausgegeben.«
    »Was nur beweist, wie blöd er war. Er hätte gar nicht gewußt, wofür. Der hat doch keine Ahnung, wie das Leben wirklich ist, steckt die Nase nie aus diesem Loch, das er seine Werkstatt nennt. Wollen Sie wissen, wie oft er mit meiner Mutter in Urlaub gefahren ist? Einmal. Ein einziges Mal! Sind in den Flitterwochen rauf nach Petrasanta gefahren. Liegestühle und Fahrradtouren am Meer. Jesus, wie arm! Danach haben sie immer im August das Geschäft geschlossen und wie ein Paar verblödeter Touristen Museen besichtigt oder einen hübschen, kleinen Tagesausflug gemacht, wie sie es nannten, nach San Gimignano oder Siena.
    ›Warum fahrt ihr nicht mal ins Ausland, um was anderes zu sehen?‹ habe ich ihn oft gefragt.
    ›Warum sollten wir? Wir haben die kostbarsten Kunstschätze und herrlichsten Baudenkmäler der Welt direkt hier vor unserer Nase, das Meer ist nicht weit, eine herrliche Landschaft und die Berge direkt nebenan, ganz zu schweigen von dem guten Essen, dem Wein und den größten Museen. Wo könnten wir es besser haben als hier?‹
    Er gehört als Ausstellungsstück in ein Museum, zusammen mit all den anderen Florentinern, die genauso denken.«
    »Sie sind auch ein Florentiner.«
    Er lachte, ein sehr lautes Lachen. Einen Augenblick lang hätte man glauben können, er markiere den Tapferen, aber das täuschte. Seine Augen glitzerten, aber nicht vor Angst. Es schien, als hätte er jahrelang für diesen Auftritt geprobt und nur noch auf das richtige Publikum gewartet.
    »Was ist mit Ihrer Mutter? War sie unglücklich über das Leben, das sie geführt hat?«
    »Machen Sie Witze? Sie war genauso schlimm wie er. Hat ihr ganzes Leben in dem Schuhgeschäft geschuftet, nie irgendwas anderes gesehen und dann auch noch direkt über dem Geschäft gewohnt! Wie im Mittelalter. In den letzten Schuljahren habe ich nicht einen Freund mehr mit heimgebracht. Wie auch? Meine Freunde lebten in einem hübschen Haus auf einem schönen Grundstück in der Via San Leonardo, oder wohnten in einer Villa mit Swimmingpool in Fiesole. Und dann sagt meine Mutter, ich solle doch meine Freunde mit heimbringen, sie seien ihr jederzeit willkommen. Daß ich nicht lache!«
    »Haben die sich denn nicht gewundert, daß Sie sie nie eingeladen haben?«
    »Ich habe ihnen erzählt, meine Mutter sei krank, was ja gar nicht so weit hergeholt war. Sie war noch gar nicht so alt, als sie starb.«
    »Das stimmt, sie war wirklich noch nicht so alt.« Glücklicherweise mußte sie diesen Tag nicht mehr erleben. Einmal, vor Jahren, hatte Totò ihn angeschrien, warum sie denn nicht in einem richtigen Haus leben könnten wie alle anderen. ›Ich kann meine Freunde nicht mit hierher in diese dämliche Kaserne nehmen. Warum kannst du nicht eine richtige Arbeit haben wie alle anderen Väter auch?‹ Ihm war übel, sein Herz schlug viel zu heftig, als habe er schreckliche Angst.
    »Die Klimaanlage hier … ich glaube …« Plötzlich war ihm eiskalt.
    »Habe ich erst kürzlich einbauen lassen. Funktioniert wunderbar, das Neueste vom Neusten. Wenn Ihnen zu kalt ist, kann ich …«
    »Nein, nein.« Hätte dieser Mann, der da vor ihm saß, nicht Angst haben müssen? Wenn er schon für seine Eltern keinerlei Mitgefühl erübrigen konnte, sollte er sich nicht wenigstens um sich selbst sorgen? Er mußte wissen, daß es aus war. Er wußte es.
    »Nun ja, jetzt, wo das Herz meines Vaters nicht mehr mitspielt, wird er sterben, ohne je gelebt zu haben.«
    »Er hat so gelebt, wie er leben wollte, würde ich denken.«
    »Und ich? Was ist mit mir?« Vor lauter Wut hatte er sich aufrecht hingesetzt und beugte sich nach vorn, wedelte mit seiner großen Hand vor dem Gesicht des Maresciallo herum. »Was ist mit all den Jahren, die wir über dem Geschäft gehaust haben? Jahre, in denen ich mich zu Tode geschämt habe – aber das war noch nicht das Schlimmste. Als ich

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