Eine Jungfrau Zu Viel
möglich zerrten wir die erstbeste Leiter heraus. Zuerst bewegte sie sich ohne Schwierigkeiten, aber als wir das eine Ende von den anderen Sachen weghievten, schien sie schwerer und unhandlicher zu werden.
Wir ließen sie fallen. Ich legte die Hand über die Lampe.
Nichts.
Während ich an meiner versengten Handfläche saugte, lauschte ich auf die nächtlichen Geräusche Roms. Ferne Stimmen, schwache, verwehte Flötenmusik und, gute Götter, eine Eule. Wohl eher der Wachposten einer Bande, der seinen Kumpeln ein Zeichen gab. Vielleicht, weil sich ihr angepeiltes Opfer näherte, oder als Warnung vor den Vigiles.
Schon rumpelten Karren auf allen Straßen, die in die Stadt führten. Der Lärm würde noch stärker werden, wenn die großen Lastkarren Rennen veranstalteten, um als Erste ihre Ladung abliefern zu können. Schwere Güter und frische Nahrungsmittel, Delikatessen und Haushaltswaren, Marmor und Holz, Körbe und Amphoren, Kutschen reicher Männer. Zumindest würde uns der Krach schützen, wenn uns noch mehr Unfälle passierten.
Obwohl wir schon Anfang Juni hatten, war die Temperatur mit Eintritt der Nacht gefallen. Kühle Luft strich um mein Gesicht. Es wurde langsam Zeit.
Aelianus berührte meinen Arm; ich nickte zustimmend. Gemeinsam hoben wir die Leiter hoch und trugen sie neben den Schrein. Ich raffte meine Toga zusammen und warf sie mir über die Schulter. Eine wohl geformte, hochmütige Göttin beobachtete mich missbilligend. Aelianus grinste und bedeckte sie mit seinem abgenommenen Umhang. Er war schlimmer als ich. Ich kletterte hinauf. Die Mauer war zu hoch. Zwar konnte ich auf der anderen Seite runterspringen, ohne mir den Fuß ernsthaft zu verstauchen, aber dann blieb mir keine Fluchtmöglichkeit mehr. Fluchend kletterte ich wieder hinunter und flüsterte ihm zu, dass wir eine zweite Leiter benötigten und sie hochhieven mussten; ich würde mich rittlings auf die Mauer setzen und die Leiter auf der anderen Seite hinunterlassen. Professionelle Dachdecker machen so was täglich. Ich wünschte mir, ich hätte einen mitgebracht.
Wir brauchten ziemlich lange. Leitern zu bugsieren ist kein Spaß. Leute, die es noch nie versucht haben, können sich nicht vorstellen, wie schwierig das ist. Bauarbeiterleitern sind grob zusammengezimmerte Dinger – raue, dünne Baumstämme als Seitenholme mit angenagelten, zu weit auseinander liegenden Ästen – und reißen einem die Hände auf, wenn man abrutscht. Falls man seine Geschicklichkeit, rohe Kraft und Gelassenheit unter Druck testen will, sollte man mal versuchen, Leitern im Dunkeln zu transportieren, in völliger Stille, während man jeden Moment erwartet, dass das letzte Stündlein geschlagen hat. »Gut gemacht, Aulus. Ich klettere rüber. Wenn du jemanden kommen hörst, trag besser die äußere Leiter weg. Und verhalt dich still, falls hier ein Haufen Liktoren auftaucht. Diesen Nichtsnutzen ist es völlig egal, wohin sie mit ihren Ruten piksen.«
»Was soll ich tun, wenn etwas schief geht?«
»Renn um dein Leben.«
Er war Helenas kostbarer Bruder. Ich hätte ihn heimschicken sollen.
XLII
Weit und breit war niemand zu sehen.
Ich war in einer Ecke des Gartens gelandet. Ganz in der Nähe, auf der Innenseite eines Tores, baumelte praktischerweise eine Laterne an einem Haken. Vermutlich für die Jungfrau bestimmt, die in dieser Nacht das heilige Feuer versorgen musste. Ich borgte mir die Laterne.
Wenn das heilige Feuer je ausgeht, weil eine der Jungfrauen nicht aufgepasst hat, wird die Missetäterin entkleidet und vom Pontifex Maximus ausgepeitscht (im Dunkeln, wobei er hinter einem Anstandsparavant steht). Dann muss der Pontifex die Flamme durch Reibung auf Obstbaumholz wieder entzünden. Ziemlich mühsame Angelegenheit. Die Vestalinnen sind heilige Frauen, die ihre uralten Pflichten ernst nehmen – aber ich hatte keinen Zweifel, dass die Dienst habende Jungfrau, sollte die Flamme bei Nacht erlöschen und kein Zeuge da sein, einfach ihre Lampe zum Anzünden verwendete. Nervös, weil die Lampe vermisst werden könnte, trug ich sie wieder zurück.
Dann machte ich mich auf die Suche. Sofort verschwand mein Fuß im Nichts, und ich stand knietief im kalten Wasser eines kleinen Teiches. Es gelang mir, nicht zu schreien. Mit Mühe zog ich meinen klatschnassen Stiefel heraus, schüttelte ein paar Stränge Laichkraut ab und platschte zurück zur Lampe.
Ich schirmte das Licht mit der Hand ab und machte mich vom Tor aus auf den Weg, diesmal durch eine
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