Eine Jungfrau Zu Viel
lange, ruhige Kolonnade. Die bescheidene Unterkunft, die in Neros großem Feuer zerstört worden war, wurde umgebaut, obwohl es auch hier die üblichen Verzögerungen gab, denn die Arbeiten waren noch nicht allzu weit fortgeschritten. Unter der feuchten, windabgewandten Seite des Palatin war der verkohlte Rest der Residenz hinter Gerüsten verborgen. Die oberen Säulen der mit feinem Staub bedeckten Kolonnaden fehlten ganz, die unteren waren vorübergehend durch Stützbalken ersetzt worden. Treppenhäuser waren nur noch gähnende Löcher im Mauerwerk.
Am hinteren Ende fand ich eine große, im Bau befindliche Halle, zu erreichen über zusammengenagelte Holzstufen, von der offenbar sechs kleine Räume abgehen sollten, sinnbildlich gedacht als königliche Hütte mit sechs Zellen für die jungfräulichen Königstöchter. Aber selbst wenn der Bau vollendet gewesen wäre, hätten die modernen Jungfrauen hier nie geschlafen. Zweifellos befanden sich in ihrem Haus zahllose Räume für die Dienstboten – und schicke Suiten für jede Vestalin.
Nach wie vor war alles ruhig. Vielleicht begaben sich die Damen früh zu Bett. Ihre Bediensteten schlüpften vermutlich hinaus zu den Tavernen beim Circus Maximus, wenn sie sich einen hinter die Binde kippen wollten.
Ich ging zurück, jetzt durch die Kolonnade des Gebäudes, das an der Via Nova stand. Hier wirkte es bewohnter. Vorsichtig drückte ich gegen Türen und Fenster, aber alle waren verschlossen. Was zu erwarten war. Nicht so sehr, um flatterhafte Jungfrauen einzusperren, sondern um diebische Bauarbeiter auszusperren, die den Schmuck der Damen stibitzen könnten. Das ist Verleumdung, Falco. Vestalinnen schmücken sich nie mit Halsketten.
UNTERWÜRFIGSTER WIDERRUF: Jede Unterstellung vestalischer Eitelkeit wird auf Anraten des Anwalts zurückgenommen.
Ich vermutete, dass sie ihre Unterwäsche wuschen, weil ich eine Frauenstimme summen hörte. Vorsichtig schlich ich in den Garten und schaute zum Gebäude hoch. Licht drang in einem dünnen Strahl aus einem der oberen Fenster mit geöffneten Läden. Am Fenster war eine Leine befestigt, wie man sie täglich auf dem Aventin sehen kann, behängt mit langen weißen, im Nachtwind trocknenden Bändern. Was man normalerweise nicht auf aventinischen Wäscheleinen sieht, sind Bänder vom Haarschmuck der Vestalinnen.
Die gesummte Melodie war zu fröhlich für eine Hymne, aber ich plante eine große Überraschung für eine der ernstesten, würdevollsten Frauen des Imperiums, die absolut keinen Grund hatte, einen Eindringling auf ihrem Fensterbrett willkommen zu heißen. Auch sie ging ein Risiko ein. Einer Jungfrau, die verdächtigt wurde, ihr Keuschheitsgelübde gebrochen zu haben, drohte die Todesstrafe. Der mutmaßliche Liebhaber würde gesteinigt werden; sie würde man lebendig begraben.
Ich befand mich in einer Zwangslage, aber das ganze Abenteuer war der reinste Wahnsinn. Zurück konnte ich nicht mehr. Ich drückte mich in den Schatten und pfiff leise, wollte sehen, was das bewirkte, aber das heitere Summen ging einfach weiter. Ich holte die Leiter, die ich auf dieser Seite der Mauer benützt hatte. Auch meine Toga brachte ich mit, obwohl sie mir kaum als Verkleidung nützen würde.
Die Leiter war sehr lang; aufgerichtet schwankte sie gefährlich über mir. Mühsam gelang es mir, das schwere Ding mit so wenig Lärm wie möglich unter dem erleuchteten Fenster an die Wand zu lehnen. Es dauerte einen Moment, bis ich ein ebenes Stück auf dem Boden fand, wo ich sie abstützen konnte. Nachdem ich die Leiter losgelassen hatte, plumpste ich schwer atmend gegen die Sprossen. Mein Herz raste. Das hier war wirklich das Dämlichste, was ich je getan hatte.
Ich war halb die Leiter hinauf, als die Katastrophe passierte. Mein Stiefel, immer noch rutschig vom Teich, glitt von einer Sprosse ab. Es gelang mir, wieder Halt zu finden, aber ich machte dabei zu viel Krach. Ich erstarrte und klammerte mich bewegungslos fest.
Als ich schon dachte, alles sei gut gegangen, öffnete sich das Fenster über mir. Licht flutete herab. Ich schaute hinauf und nahm die Gestalt einer Frau wahr, mit dem steifen, hohen Diadem, das alle Vestalinnen trugen. Ich hörte ein unterdrücktes Geräusch, das unter anderen Umständen ein Kichern hätte sein können. Dann flüsterte eine Stimme: »Oh, Liebling, ich dachte, du würdest nie kommen.«
Ein Scherz. Na ja, zumindest hoffte ich das.
Aber mir blieb keine Zeit zum Argumentieren, weil die verehrte
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