Eine Jungfrau Zu Viel
passierte. »Die Erwachsenen wollen über Sachen reden, die wir nicht hören sollen.«
Ich hatte einen Strick an Nux’ Halsband befestigt. Als ich Marius, dem mit neun Jahren Ältesten, den Strick in die Hand gab, fragte er ängstlich: »Rennt dein Hund gerne weg und verläuft sich?«
»Nein, Marius. Nux würde sich nie verlaufen. Wir verwöhnen sie, überfüttern sie und streicheln sie viel zu oft. Der Strick ist dazu da, dass Nux euch nach Hause schleppt, falls ihr euch verlauft.«
Wir befanden uns auf dem Treppenabsatz vor dem Haus, außer Hörweite seiner Mutter. Ermutigt durch meine Witzelei, zog mich Marius plötzlich am Arm und gestand mir, was ihn offenbar quälte: »Onkel Marcus, wo doch jetzt kein Geld mehr da ist, glaubst du, dass ich von der Schule muss?«
Marius wollte Rhetoriklehrer werden, hatte er zumindest vor zwei Jahren beschlossen. Möglich, dass er es durchzog oder doch als Viehzüchter endete. Ich hockte mich vor ihn hin und nahm ihn fest in die Arme. »Ich verspreche dir, Marius, dass dein Schulgeld zum nächsten Trimester bezahlt wird.«
Er ließ sich dadurch zwar beruhigen, schaute aber immer noch etwas verängstigt. »Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, dass ich gefragt habe.«
»Nein. Mir ist klar, dass deine Mutter wahrscheinlich gesagt hat, stell Onkel Marcus keine solchen Fragen.«
Der Junge grinste schüchtern. »Ach, wir tun nicht immer das, was Mama sagt. Heute lautete ihr Befehl: ›Vergesst nicht, ihnen zu sagen, wie süß ihr die Kleine findet – und mault nicht, wenn Onkel Marcus darauf besteht, uns allen was aus seiner scheußlichen alten Amphore mit spanischer Fischsoße aufzutun.‹«
»Also haben Ancus und du das Gesicht verzogen und euch geweigert, sie auch nur zu probieren?«
»Ja, aber wir finden euer Baby wirklich netter als das von Tante Junia.«
Marius glaubte offensichtlich, er müsse jetzt den Mann im Haus spielen. Das sollte ich schleunigst unterbinden. Es konnte ihm die ganze Kindheit verderben. Zumindest musste Maia von ihren Geldsorgen befreit werden, selbst wenn das bedeutete, Papa etwas aus den Rippen zu leiern.
Nachdenklich kehrte ich zu den anderen zurück. Helena hatte schon zu fragen begonnen, ohne auf mich zu warten. »Hör dir das an, Marcus: Cloelia soll an der Lotterie der Vestalinnen teilnehmen.«
Ich fluchte, mehr aus Überraschung als aus Grobheit. Petronius machte eine schmutzige Bemerkung.
»Ich kann nichts dafür«, sagte Maia mit tiefem Seufzer. »Famia hat sie angemeldet, bevor er nach Afrika fuhr.«
»Also mir hat er nichts davon verraten, sonst hätte ich ihn gleich zum Idioten erklärt. Wie alt ist sie?«
»Acht. Mir hat er auch nichts davon erzählt«, erwiderte Maia müde. »Nicht, bevor es zu spät war und Cloelia die Idee toll fand.«
»Sie wird gar nicht zugelassen«, erklärte uns Petronius und schüttelte den Kopf. »Ich hab das auch alles mit meinen Mädchen hinter mir. Sie wollten alle unbedingt teilnehmen, bis ich ihnen klar machte, dass ich sie als Vater von drei Kindern von der Lotterie freistellen konnte. Es ist wirklich gemein«, beschwerte er sich. »Sechs Vestalinnen gibt es, die dreißig Jahre lang dienen, und im Durchschnitt wird höchstens alle fünf Jahre nach einem Ersatz gesucht. Was zur Folge hat, dass ganz Rom voll ist mit verträumten kleinen Mädchen, alle ganz heiß darauf, die Erwählte zu sein.«
»Warum wohl?«, gab Helena trocken zurück. »Es kann doch nicht sein, dass sie sich alle denken, wie wundervoll es wäre, in einer Kutsche zu fahren, der selbst die Konsulen ausweichen müssen, auf den besten Plätzen im Theater zu sitzen, im gesamten Imperium verehrt zu werden? Und all das nur für ein paar leichte Pflichten wie Wassertragen und das heilige Feuer anzufachen …«
Petro wandte sich an Maia. »Famia hätte sich mit der Drei-Kinder-Regelung rausreden können.«
»Ich weiß, ich weiß«, stöhnte Maia. »Er hat es nur gemacht, weil er so ein dämlicher Kerl war. Selbst wenn Cloelia gewählt würde, wäre das jetzt, wo ihr Vater tot ist, unmöglich. Die Eltern einer neuen Jungfrau müssen beide am Leben sein. Das ist nur noch eine traurige Konsequenz mehr, die ich meinen Kindern erklären muss.«
»Tu das nicht«, sagte Helena in scharfem Ton. »Teil es dem Pontifex-Kollegium mit, damit ihr Name zurückgezogen wird. Lass Cloelia einfach glauben, eine andere hätte die Lotterie gewonnen.«
»Und ich versichere euch, es gab nie einen Zweifel daran, dass eine andere gewinnen
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