Eine Jungfrau Zu Viel
mit Ihrer Besorgnis zu mir gekommen sind. Lassen Sie mich Ihnen erklären, was passiert ist, soweit wir es wissen …«
»Der Tote war einer der Brüder?«, fragte ich.
»Unglücklicherweise ja.« Ich merkte, dass er nicht vorhatte, einen Namen zu nennen. »Ein trauriger häuslicher Zwischenfall. Die verantwortliche Frau wurde direkt danach blutbedeckt im Hain gefunden. Sie schluchzte hysterisch und war völlig verstört.«
»Sie nennen es einen ›häuslichen Zwischenfall‹. Heißt das, die Frau ist mit ihrem Opfer verwandt?«
»Leider ja. Stimmt es nicht, Falco, dass Menschen am häufigsten von Familienmitgliedern ermordet werden?«
Das musste ich zugeben. »Männer werden für gewöhnlich von ihren Ehefrauen umgebracht. Sie haben die Frau selbst gesehen?«
Zum ersten Mal schien ihm die grausige Geschichte zuzusetzen. »Ja. Ja, das habe ich.« Er schwieg kurz und fuhr dann fort: »Sie beruhigte sich, schien aber verwirrt zu sein. Ich habe bedächtig mit ihr gesprochen, und sie gestand ihre Tat.«
»War sie in der Lage, eine vernünftige Erklärung zu geben?«
»Nein.«
»Schwierig!«, sagte ich trocken.
»Solche Dinge passieren. Es kam ganz unerwartet, sonst hätte man die schrecklichen Folgen vielleicht verhindern können. Unser verstorbenes Mitglied war besorgt wegen der geistigen Ausfälle der Frau, wollte sie aber schützen, indem er das verheimlichte. Die Menschen machen so was, wissen Sie.« Ich zog eine Grimasse, die besagte, ich wisse Bescheid. »Ich habe weitere Nachforschungen angestellt und bin davon überzeugt, dass es die Wahrheit ist. Sie hat den Verstand verloren. Ob auf Grund zu hoher Belastungen, die jetzt nicht mehr feststellbar sind, oder einer unglückseligen natürlichen Krankheit, werden wir wohl nie erfahren.«
»Wird von offizieller Seite etwas unternommen?«
»Nein, Falco. Ich habe heute mit dem Kaiser gesprochen, aber mit einer Gerichtsverhandlung ist nichts zu gewinnen. Das würde das enorme Leid der Betroffenen nur vergrößern. Uns blieb nichts mehr zu tun, als den Verwandten die Leiche ehrerbietig für das Begräbnis zu übergeben. Die arme Frau befindet sich in der Obhut ihrer engsten Familie, unter der Zusicherung, dass man sie pflegt und ständig bewacht.«
Bei diesen Worten schienen die beiden Stellvertreter, denen wir zuerst begegnet waren, leicht auf ihren Sitzen herumzurutschen. Blicke wurden zwischen ihnen und dem Meister getauscht, dann sagte der Vizemeister zu ihm: »Wir hatten gerade darüber geredet, bevor Sie zurückkamen.«
»Gut, gut!«
Ich fand, der Wortwechsel enthielt mehr Bedeutung, als man aus den bloßen Worten entnehmen konnte. Wurde hier eine Art Warnung ausgesprochen?
Der Meister sah mich an, als würde er warten, ob ich das Thema weiterverfolgte. »Natürlich wird nichts davon an die Öffentlichkeit dringen?«
Er nickte schweigend.
»Wie hieß der Bruder, der gestorben ist?«, meldete sich Aelianus zu Wort.
Der Meister warf ihm einen scharfen Blick zu. »Ich fürchte, darüber kann ich keine Auskunft geben. Man hat sich darauf geeinigt …« Er sprach mit gewichtigem Ton, der besagen sollte, dass diese Einigung von Vespasian bei dem Gespräch abgesegnet worden war, das der Meister angeblich mit ihm geführt hatte. »Der Name der Familie, die von dieser furchtbaren Tragödie betroffen ist, wird nicht genannt werden.«
Die drei anderen Brüder bewegten sich. Ich hatte jetzt keinen Zweifel mehr daran, dass sie die ganze Geschichte kannten. Sie waren hingerissen von der Art, wie ihr Meister uns mit der offiziellen Version einlullte.
Ich spitzte die Lippen und holte langsam und tief Luft. Früher hätte ich mich unbeliebt gemacht, hätte auf weiteren Informationen bestanden – und nichts erreicht. Wenn die Oberschicht die Reihen schließt, weiß das Personal, dass es dasselbe zu tun hat. Aelianus war unruhig und begierig darauf, weiterzubohren, aber ich schüttelte leicht den Kopf und warnte ihn so davor, einen Aufstand zu machen.
»Junger Mann«, meinte der Meister mitfühlend, »ich bin höchst beunruhigt, dass Sie in diese traurige Episode hineingezogen wurden, während Sie an unseren Ritualen teilnahmen. Es muss ein fruchtbarer Schock für Sie gewesen sein. Ich werde mit Ihrem Vater sprechen, aber übermitteln Sie ihm im Voraus mein tiefstes Bedauern – und Ihnen, Didius Falco, vielen Dank. Ich danke Ihnen von Herzen für Ihre Hilfe und Unterstützung.«
»Verlassen Sie sich auf unsere Verschwiegenheit.« Ich lächelte, damit es nicht
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