Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Katze kommt selten allein

Eine Katze kommt selten allein

Titel: Eine Katze kommt selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
Vom Netzwerk:
gewußt hat, daß jemand Harry ermorden würde, und da ist sie mit ihren Jungen weggelaufen. Aber Ginger wollte nicht bleiben.«
    Jo gab die Eier in die brutzelnde Butter und beugte sich über die Pfanne. Mit der riesigen Schürze sah ihre winzige Gestalt zwergenhaft aus.
    Ich mußte Jo sagen, daß Ginger Harrys Geliebte gewesen war; das erkannte ich jetzt. Natürlich hatte ich keinen Beweis dafür, nur sehr spärliche Indizien; vor allem Gingers herzzerreißendes Weinen in der Abgeschiedenheit hinter der Hütte. Doch Jo und ich würden bei unseren Nachforschungen keinen Schritt weiterkommen, falls wir nicht von Anfang an bedingungslos ehrlich zueinander waren; nicht mal einen Verdacht durften wir verschweigen. Wie sollten wir sonst zum Ziel kommen?
    Triumphierend schaufelte Jo die Rühreier aus der Pfanne auf die Teller. Dann trat sie zurück und schüttelte den Kopf. Sie hatte sich so sehr auf die Rühreier konzentriert, daß sie darüber alles andere vergessen hatte – Brot, Kaffee, Orangensaft. Unbeholfen deckte sie die Rühreier ab und machte sich daran, den Rest des Frühstücks zu bereiten. Ich hätte ihr helfen sollen, ließ es aber bleiben. Ich war zu sehr mit der Frage beschäftigt, wie ich der alten Frau schonend die Affäre zwischen Ginger und Harry beibringen konnte.
    Doch erst einmal frühstückten wir inmitten des Durcheinanders auf dem Tisch. Das Rührei war kalt, der Kaffee dünn, das Brot trocken.
    Als wir fertig waren, stieß Jo einen tiefen Seufzer aus, als würde sie jetzt schon wissen, daß sie mit einer so komplizierten Angelegenheit wie einem Frühstück über längere Zeit nicht fertig werden konnte.
    »Jo«, sagte ich und rückte meinen Stuhl näher zu ihr heran. »Ich möchte dir etwas sagen. Aber ich weiß nicht recht, wie ich anfangen soll. Ich will nicht, daß du…« Ich verstummte. Mir fehlten die Worte.
    »Immer raus mit der Sprache. In meinem Alter kann mich nicht mehr viel erschrecken, Alice. Das müßtest du doch wissen.«
    Ich stellte die Teller aufeinander, legte das Besteck darauf und sagte gerade heraus: »Ich glaube, Ginger hatte eine Affäre mit Harry.«
    »Glaubst du?«
    »Ja, glaube ich.«
    »Und was soll ich dazu sagen?«
    »Was du darüber weißt.«
    »Ich weiß überhaupt nichts darüber«, erwiderte sie hastig und begann, den Tisch abzuräumen.
    »Bitte, Jo. Sag mir, was du weißt.«
    »Jetzt hör mir mal zu, Alice.« Jo lehnte sich gegen den Spülstein und nahm die Lederschürze ab. »Harry war ein wunderbarer, aber auch eigenwilliger Mann. Er hat sich für sehr viele Dinge begeistert. Ganz plötzlich war er Feuer und Flamme. Er konnte sich von einen Augenblick zum anderen zu einem Menschen hingezogen fühlen oder einem Tier oder einem Haus – zu allem möglichen. Und dann schenkte er der Person, dem Tier oder dem Gegenstand seine ganze Aufmerksamkeit. Harry war ein Menschenfreund. Viele Leute haben ihn geliebt – und Harry hat viele Leute geliebt. Aber daß er und das Mädchen miteinander geschlafen haben… nein, das glaube ich nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Weil er es mir gesagt hätte«, erwiderte sie gereizt.
    »Von dem Geld hat er dir auch nichts gesagt«, bemerkte ich.
    Jo hatte die Schürze ausgezogen. Sie wandte sich um und blickte aus dem Fenster, um mir nicht ins Gesicht schauen zu müssen. Offensichtlich war sie sehr wütend auf mich und versuchte, ihren Zorn unter Kontrolle zu bekommen.
    »Möchtest du noch Kaffee?« fragte sie mit kühler Stimme. Ich schüttelte den Kopf. Es war ein schrecklich peinlicher Augenblick. Aber ich hatte das Richtige getan. Ich war ja nicht hierher gekommen, um Jo zu bemuttern.
    »Sieh dir nur an, wie düster es draußen ist«, erklärte Jo und schüttelte nun ihrerseits den Kopf, als wäre die ganze Welt aus den Fugen geraten.
    »Vielleicht klart es auf«, lautete mein äußerst intelligenter Kommentar. »Vielleicht haben wir heute nachmittag schönes Wetter.«
    »Ich möchte dir Harrys Papiere zeigen«, sagte Jo plötzlich. »Die Briefe. Die Rechnungen. Alles.«
    Erleichtert stand ich auf. Gemeinsam gingen wir durch die lange Küche in einen angrenzenden Vorratsraum. Von zwei kleinen, verstaubten Fenstern flankiert, führte im hinteren Teil des Raumes eine Tür auf den Hof.
    Das kleine Zimmer war vollgepackt mit aufeinandergestapelten Pappkartons. Zwischen den Kartonsäulen lagen in heilloser Unordnung Seile, alte Stiefel, Töpfe und Pfannen und Stapel von Kleidern, die offensichtlich seit Jahren nicht mehr getragen worden

Weitere Kostenlose Bücher