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Eine Katze kommt selten allein

Eine Katze kommt selten allein

Titel: Eine Katze kommt selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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Alters mit ergrauendem Haar. Selbst jetzt, bei der Arbeit, war er gut gekleidet. Er nickte uns zu, reinigte aber die Schaufel weiter.
    Ich dachte daran, daß Jo ihn als besessenen Spieler bezeichnet hatte. Er sah aber nicht wie ein Mann aus, der beim Pferderennen große Summen verwettete. Andererseits sah ich nicht wie eine Frau aus, die ihren Lebensunterhalt durch Catsitten bestritt. Nicholas hämmerte das Schaufelblatt auf den Boden, um noch mehr von dem festgebackenen Lehm abzuklopfen. Seine Hände waren groß und kräftig.
    Ein Schlapphut mit einer Fasanenfeder unter dem Hutband saß gefährlich schief auf seinem Kopf. In Anbetracht der Tatsache, daß wir Winter hatten, war es eine seltsame Kopfbedeckung.
    »Wir sind auf der Suche nach Ginger«, sagte Jo in fröhlichem Plauderton.
    Nick ließ die Schaufel fallen und musterte sie nachdenklich, als wäre er mit seiner Reinigungsarbeit nicht zufrieden. Dann blickte er auf, lächelte Jo an, zog einen Handschuh aus und blies sich auf die Finger. Seine Bewegungen waren ruhig und überlegt.
    »Ist schon eine Weile her, seit ich Ginger das letzte Mal gesehen habe. Ungefähr eine Woche, bevor sie von Ihnen fortgegangen ist«, erwiderte er schließlich.
    »Wissen Sie, wo Ginger jetzt wohnt?« erkundigte ich mich.
    Wieder lächelte er Jo an, als würden nur sie beide wissen, daß ich soeben eine dumme Frage gestellt hatte – wie man es von einem Stadtmenschen allerdings nicht anders erwarten konnte.
    »Ich habe keine Ahnung«, antwortete er, »obwohl Ginger früher eine Zeitlang bei uns gewohnt hat. Aber was besagt das schon? Meine Tante hat viele verletzte Tiere und Menschen aufgenommen und gepflegt… Ginger war nur einer davon. Das war nun mal Monas Art. Verletzte Menschen. Verletzte Tiere. Steig aus dem Wagen, Nicholas, sagte sie immer, und sieh nach, ob das angefahrene Eichhörnchen oder der Vogel oder was auch immer noch lebt. Meist war das Tier schon über eine Woche tot.«
    Ich konnte an seiner Stimme erkennen – sie war mal liebevoll, mal anklagend –, daß es lange Zeit dauern würde, bis Nick den Tod seiner Tante verwunden hatte.
    »Jedenfalls«, fuhr er fort und schaute dabei immer noch Jo an, »als Ginger bei den Starobins zu arbeiten anfing, bekam sie eine eigene Unterkunft. Nein, Moment mal. Das war vorher. Ich kann mich erinnern, daß sie eine Zeitlang von Hof zu Hof wechselte, weil sie meinen Lieferwagen öfters an die Farmer ausgeliehen hat. Wissen Sie, ich habe nicht mehr als zehn Worte mit dem Mädchen gewechselt.«
    Das kam mir sehr seltsam vor. Warum hatte Nick die letzte Bemerkung gemacht? Es hörte sich an, als würde er in irgend etwas hineingezogen, hätte er mit Ginger geredet.
    Wovor hatte er Angst? Ich traute Monas Neffen nicht über den Weg.
    Den Stallgang hinunter wieherte eines der Pferde in seiner Box; dann folgten zwei, drei, vier explosionsartige Geräusche, wie Gewehrschüsse. Erschreckt trat ich zurück und bewegte mich in Richtung Stalltor.
    »Keine Angst«, sagte Nicholas, »das war nur das neue Fohlen, das man von der Pferderennbahn in Philadelphia hierher gebracht hat. Augenentzündung – nichts Ernstes. Aber es spielt öfters verrückt. Es macht ihm Spaß, gegen die Wände der Box zu treten.«
    Ein kalter Windstoß fuhr durch den Stallgang und stach in unsere Augen und Ohren. Nick versuchte, seinen Hut tiefer in die Stirn zu ziehen. »Im Haus habe ich Kaffee, Jo. Wie wär’s mit einer Tasse?« fragte er.
    Als Jo den Kopf schüttelte, fragte ich: »Haben Sie eine Vermutung, wo Ginger sich aufhalten könnte?«
    »Na ja, sie war mit einem Burschen namens Bobby Lopez befreundet. Er arbeitet an der Chevron-Tankstelle unten an der Route 106. Wissen Sie, wo das ist?«
    Jo nickte und lächelte Nicholas an; dann gingen wir zum Wagen zurück.
    Wir hatten kaum zwanzig Schritt gemacht, als Nick rief: »Jo!« Wir drehten uns um. Er stand da, auf den Stiel der Schaufel gestützt. Sein Gesicht war vom Wind gerötet. »Glauben Sie, daß wir den Winter überleben, Jo?«
    Für einen Augenblick starrte Jo ihn wie betäubt an; dann ging sie mit schnellen Schritten zu ihm. Ich sah, wie die beiden sich schluchzend umarmten. Ich wandte mich ab. Ich wollte ihre gemeinsame Trauer nicht stören – doch ich sehnte mich danach, bei ihnen zu sein, sie zu umarmen und umarmt zu werden. Es war verrückt. Was hatte Harry – und besonders Mona – mir bedeutet? Oder ich ihnen? Und dennoch hüllten diese beiden Mordopfer mich mehr und mehr ein, immer enger,

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