Eine Katze kommt selten allein
auf eigenartige Weise, als wären sie immer schon ein Teil von mir gewesen und als würde eine andere Alice Nestleton sich danach sehnen, Teil von ihnen zu sein. Die ganze Sache war gespenstisch und verwirrend.
Minuten später trafen wir Bobby Lopez in der Werkstatt der Chevron-Tankstelle an. Er trank Kaffee, und zu seinen Füßen lag eine riesige Promenadenmischung mit Schlappohren und wälzte sich von einer Seite auf die andere.
Bobby hatte ein hübsches Gesicht mit tiefliegenden, mandelförmigen Augen. Seine Hände und Arme waren voller blauschimmerndem Schmieröl. Er schien über unser Auftauchen ganz und gar nicht glücklich zu sein, doch er beantwortete unsere Fragen prompt und unumwunden. Ja, sagte er, er kenne Ginger. Nein, sagte er, er habe sie seit Wochen nicht gesehen. Ja, sagte er, er wisse, wo sie jetzt wohne.
Doch als wir Bobby nach Gingers genauem Aufenthaltsort fragten, zögerte er zum ersten Mal. »Warum wollen Sie das wissen?« erkundigte er sich mißtrauisch.
Jo machte ihre Sache großartig. Sie log wie ein Theater-Impresario und erzählte Bobby, daß Ginger noch für eine Woche ausstehenden Lohn bekäme und daß sie dem Mädchen das Geld persönlich aushändigen wolle.
Bobby lächelte mit grimmiger Miene, zündete sich eine Zigarette an und streichelte den Hund. Er starrte erst Jo an, dann mich. Er schien uns nach einem nur ihm bekannten Maßstab einzuschätzen.
Schließlich sagte er: »Sie wohnt in der Tarbon-Bar in Oyster Bay Village. Direkt an der einzigen Kreuzung in dem Kaff. Sie können es gar nicht verfehlen… sofern Sie es nicht darauf anlegen.«
Daß Bobby Gingers neuen Wohnort kannte, paßte zu Nicks Bemerkung, daß die beiden sich sehr nahe standen, vermutlich sogar ein Liebespaar waren. Jo fragte: »Wo haben Sie Ginger kennengelernt?« Ihre Stimme klang so ungläubig, daß Bobby zornig wurde. Er verstand, was Jo meinte: Wie konnte ein so nettes Mädchen wie Ginger sich mit einem Mechanikerlehrling einlassen? Jo machte aus ihren Klassenvorurteilen wirklich keinen Hehl.
»An der Aqueduct-Pferderennbahn, Lady. Wir haben beide für Charlie Coombs gearbeitet.«
Bobby Lopez hatte recht. Wenn man durch die Ortsmitte von Oyster Bay Village fuhr, konnte man die Tarpon-Bar wirklich nicht verfehlen. In einem Türeingang neben der Bar entdeckten wir Ginger Mauchs Namensschild auf einem Briefkasten.
Auf einer sehr wackeligen Treppe stiegen wir ins Obergeschoß. Die Treppenabsätze brauchten dringend einen neuen Anstrich. Die Fußböden waren mit rissigem Linoleum ausgelegt. Die Türen, hinter denen sich die Zimmer befanden, waren verzogen.
Ginger Mauch wohnte auf der dritten Etage in einem hinten gelegenen Zimmer. Die Tür stand weit offen. In dem einzigen großen Raum standen die wenigen Möbel in wirrer Unordnung. Der Schrank war offen und leer; die Schubladen der Kommode waren herausgezogen und ebenfalls leer.
Offensichtlich war Ginger in aller Eile ausgezogen.
In einer Ecke des großen Zimmers lag ein Haufen Gerumpel: Poster, Kleidungsstücke, Schallplatten und andere Gegenständen, die Ginger offenbar weggeworfen hatte, da sie die Dinge nicht für wichtig genug hielt, sie mitzunehmen. Ich entdeckte in dem Haufen ein paar ungeöffnete Suppendosen.
»Arme Ginger«, sagte Jo und setzte sich erschöpft auf einen Klappstuhl.
Ich stand vor einem Rätsel. Warum war das Mädchen so überstürzt ausgezogen? Hatte sie Angst gehabt? Vor was? Oder wem? Je mehr ich mich bemühte, das Stallmädchen zu begreifen, desto unbegreiflicher wurde ihr Verhalten.
Plötzlich stand Jo auf und ging zu dem Haufen Plunder hinüber, den Ginger zurückgelassen hatte.
»Hast du etwas Interessantes entdeckt, Jo?« fragte ich.
Mit dem Fuß zog Jo langsam irgend etwas aus dem Haufen heraus, so, als wäre es etwas Schmutziges. Es entpuppte sich als ein Foto von Harry Starobin, der vor dem Stall seiner Farm stand; um seinen Hals lag wie ein lebender Schal eine Katze mit roten und schwarzen Flecken auf weißem Fell: eine Calico-Katze. Harry lächelte sein wundervolles Lächeln.
»Mein Gott«, flüsterte Jo, »dieses Foto suche ich seit einem Jahr. Es ist eins der schönsten Bilder von Harry. Die Katze, die um seinen Hals liegt, ist Veronica, unsere Stallkatze. Harry hat mir gesagt, das Foto wäre verschwunden, aber er hat gelogen! Er hat es Ginger gegeben. Aber warum? Und nun läßt das Mädchen die Aufnahme einfach in diesem Müllhaufen zurück.«
Mit dem Fuß stieß sie das Foto zurück in den Berg aus
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