Eine Katze kommt selten allein
Verstehst du, was ich meine, Alice?«
»Es ist noch nicht zu spät für dich«, witzelte ich – und ärgerte mich augenblicklich über diese dumme Bemerkung.
Jo lächelte mich an. »Oh, das glaube ich aber doch. Da bin ich mir ganz sicher.«
Bushy umrundete inzwischen das Sofa und fragte sich, ob er zu der fremden Frau hinaufspringen sollte, die seinen Lieblingsplatz in Beschlag genommen hatte. Er schaute abwechselnd wütend und verwirrt drein, wedelte mit dem Schwanz und stellte die Ohren auf.
Ich ging zum Wandschrank im Flur und nahm ein Kissen, eine Steppdecke und eine blaue Wolldecke heraus, die älter als ich war und noch von der Farm meiner Großmutter in Minnesota stammte. Ich legte die Kissen und Decken auf einen Stuhl neben dem Sofa; dazu ein sauberes Handtuch für Jo. Dann ging ich schlafen.
Als wir am nächsten Morgen an das Eingangstor der Pferderennbahn fuhren, stellten wir fest, daß es von uniformierten Wachtmännern versperrt wurde, die sich als sehr mißtrauisch erwiesen. Ich weiß selbst nicht warum, aber ich hatte damit gerechnet, daß das Tor geöffnet war wie der Haupteingang eines Einkaufszentrums. Nun aber konnte ich mich vom Gegenteil überzeugen, zumal die Wachtmänner uns nicht durchlassen wollten. Daraufhin versuchte Jo vergeblich, Charlie Coombs ans Telefon zu bekommen. Er war zwar draußen auf der Rennbahn, aber nicht zu erreichen. Dann, als Jo ihn endlich an der Strippe hatte, mußten wir warten, bis man uns Ausweise ausgestellt hatte, die uns den Zutritt zur Rennbahn erlaubten. Und dann, als wir endlich durchs Tor gelangt waren, verirrten wir uns hoffnungslos im riesigen Stallgelände. »Ich bin seit zwanzig Jahren nicht mehr hier gewesen« sagte Jo; es hörte sich wie eine Entschuldigung an.
Kurz nach halb sieben gelangten wir zu Charlie Coombs’ Stallungen. Plötzlich fanden wir uns inmitten von Pferden wieder, die soeben vom Training zurückgekehrt waren. In der morgendlichen Kälte dampften ihre Körper vom Schweiß. Junge Männer und Frauen nahmen den Tieren die Sättel und das Zaumzeug ab, legten ihnen Decken über und führten sie dann an der Leine langsam im Kreis herum.
Noch nie hatte ich Rennpferde aus nächster Nähe gesehen, und ich war überwältigt von ihrer Kraft. Ich konnte spüren, daß sie drauf und dran waren, sich loszureißen und davonzupreschen. Diese majestätischen Geschöpfe waren zu explosionsartigen Beschleunigungen fähig und konnten unglaubliche Geschwindigkeiten erreichen. Und selbst in der morgendlichen Dunkelheit konnte ich die Individualität jedes einzelnen Tieres unterscheiden – ein rascher Blick, ein Ruck mit den Kopf, ein plötzliches, unverwechselbares Wiehern. Natürlich flößten diese großen Tiere mir Furcht ein; anderseits hatte ich das Verlangen, irgendeinen Kontakt zu diesen kraftvollen Wesen herzustellen.
Jo zupfte mich am Ärmel und riß mich aus meinem beinahe tranceartigen Zustand. Kurz darauf betraten wir ein kleines Büro, in dem ein heilloses Durcheinander herrschte. Charlie Coombs saß hinter seinem Schreibtisch und telefonierte; als er uns hereinkommen sah, bedeutete er uns mit einer energischen Handbewegung, uns zu setzen und zu warten.
Leute kamen ins Büro und verließen es sofort wieder, ohne ein Wort zu sagen. Sie trugen Reithelme und dicke Reitkleidung zum Schutz gegen die Kälte. Wenn sie sich an der Kaffeemaschine – die den einzigen aufgeräumten Bereich des Büros einnahm – eine Tasse einschenkten, bewegten sie sich schnell, beinahe hektisch. Neben der Kaffeemaschine standen Behälter mit Milch und Zucker, und an der Wand hing ein großes Schild aus Pappe, auf dem geschrieben stand: ›Wenn Sie Kaffee trinken, bezahlen Sie ihn gefälligst‹ Aber niemand warf auch nur einen Cent in die Sammelbüchse.
Schließlich hämmerte Charlie Coombs den Hörer auf die Gabel und sagte: »Ich habe gehört, was mit Harry und Mona geschehen ist, Jo. Es tut mir aufrichtig leid.« Er hob beide Hände, als wollte er damit unterstreichen, daß die Welt nun mal so sei – voller unerklärlicher Not und Elend.
Mir war der Mann auf Anhieb sympathisch. Er mochte fünfundvierzig, fünfzig Jahre alt sein und besaß ein wettergegerbtes, entschlossenes Gesicht, doch sein Lächeln war voller Wärme. Er hatte zerzaustes, dichtes schwarzes Haar, das bereits die ersten grauen Strähnen aufwies, und in Anbetracht der Kälte war er viel zu dünn angezogen – über einem Hemd ohne Krawatte trug er nur eine Art Jagdweste.
Jo machte mich
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