Eine Katze kommt selten allein
Gerümpel. Die Ränder des Bildes hatten sich verfärbt.
Ich bückte mich, um das Foto aufzuheben.
»Bitte, laß es liegen«, sagte Jo und setzte sich wieder auf den wackeligen Klappstuhl. Ihr Gesicht hatte alle Farbe verloren.
Ich ließ das Foto, wo es war, und schaute mich statt dessen im Zimmer um. Schließlich ruhte mein Blick auf den nackten Drahtkleiderbügeln im Schrank. Je rätselhafter Ginger wurde, desto deutlicher wurde mir bewußt, daß ich sie finden mußte.
»Hast du diesen Charlie Coombs gekannt?« fragte ich Jo, als ich mich an Bobby Lopez’ Worte erinnerte.
»Den Trainer?«
»Er ist Trainer? Ich meinte den Mann, den Bobby Lopez erwähnt hat…«
»Ja. Charlie Coombs. Natürlich ist er Trainer. Ich kenne ihn. Er hat häufiger Pferde auf Monas Farm gebracht. Wie schon sein Vater vor ihm. Viele Trainer haben große Stücke auf Mona gehalten. Sie hatte ein Händchen für kranke Pferde, genauso, wie’s Harry für alle möglichen Tiere hatte. Der alte Coombs hat Mona sogar angerufen, wenn er Probleme hatte, einen Jährling zu trainieren…«
Sie hielt inne; dann fügte sie mit erstickter Stimme hinzu: »Es hat den Anschein, als wären alle lieben, netten Menschen von uns gegangen.«
Ich ging zu Jo hinüber, nahm ihre Hand und drückte sie. »Komm mit mir nach Manhattan, Jo. Für ein, zwei Tage. Wir gehen zur Aqueduct-Rennbahn. Vielleicht weiß Charlie Coombs, wo Ginger sich aufhält. Wenn sie früher mal für ihn gearbeitet hat, ist sie vielleicht zu ihm zurückgekehrt.«
»Ich bin sehr müde, Alice«, sagte Jo.
»Aber Harry und Mona sind tot, Jo, und wir werden ihre Mörder weder in diesem Müllhaufen noch in Harrys Müllhaufen in eurem Vorratsraum finden.«
Für einen Augenblick blickte Jo mir ins Gesicht; dann schaute sie auf unsere verschränkten Hände. »Also gut, Alice. Warum nicht? Wozu sind alte Damen sonst zu gebrauchen?«
8
Ich saß in meiner Wohnung und beobachtete, wie Jo sich aufmerksam umschaute. Meine Wohnung faszinierte sie. Immer wieder ging sie von einem Ende zum anderen, nahm Gegenstände in die Hand, schaute sie an, stellte sie wieder hin. Ich konnte ihr großes Interesse nicht begreifen, besonders, da ein langer Tag hinter uns lag. War es möglich, daß eine erfahrene, kluge alte Frau wie Jo das Leben einer Schauspielerin für dermaßen aufregend und schillernd hielt, daß es sich in den Möbeln und allem möglichen Schnickschnack widerspiegelte? In meiner Wohnung jedenfalls gab es keinen solchen Gegenstand.
Schließlich setzte Jo sich aufs Sofa und sagte: »Tja, ich hoffe, daß alle unsere Katzen überleben. Als ich sie zum letzten Mal mit Arnos allein gelassen habe, hatte ich Angst, er könnte sie aufessen.« Sie blickte auf Bushy hinunter, als würde sie sich gerade vorstellen, wie Arnos sich ausmalte, Bushy in die Pfanne zu hauen.
Es war neun Uhr abends. Wir waren beide sehr müde, und Jo hatte angekündigt, daß wir uns am nächsten Morgen um halb sechs auf den Weg machen müßten, weil die Trainer ihre Pferde sehr früh zum morgendlichen Aufgalopp auf die Bahn brachten. Wenn wir Charlie Coombs erwischen wollten, mußten wir zeitig an der Rennbahn sein.
»Möchtest du einen Tee, Jo? Oder etwas Stärkeres?«
»Nichts, vielen Dank«, sagte sie und blickte sich wieder neugierig um. Dann lächelte sie. »Weißt du, Alice, ich hätte nie gedacht, daß deine Wohnung so aussieht.«
»Wie sieht sie denn aus, Jo?«
»Na ja, ziemlich… konservativ.«
»Was hast du denn erwartet? Daß meine Wohnung so aussieht, als würden hier wilde Orgien gefeiert?«
»Ich weiß es selbst nicht genau.«
»Männer sind rar, Jo, wenn du das meinst. Jedenfalls heutzutage.«
»Aber du bist eine wunderschöne Frau«, erwiderte sie.
Ich wußte nicht, was ich darauf antworten sollte. Vielleicht wollte sie, daß ich ihr ein bißchen über meinen kurzen Ausflug in die Promiskuität erzählte. Aber das war lange her – nachdem meine Ehe in die Brüche gegangen war –, und ich konnte mich kaum noch daran erinnern. Außerdem ging es Jo nichts an.
Als ich sie wieder anschaute, weinte sie. Ich schloß die Augen und schlug sie erst wieder auf, als ich Jo sagen hörte: »Möchtest du mal was Lustiges hören, Alice? Als ich Harry geheiratet habe, war ich noch Jungfrau. Und ich bin nie mit einem anderen Mann ins Bett gegangen. Nur mit Harry. Sollte ich morgen oder übermorgen sterben, werde ich nie erfahren, ob es zwischen Harry und mir wirklich die große Liebe war… oder nur Leidenschaft.
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