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Eine Katze kommt selten allein

Eine Katze kommt selten allein

Titel: Eine Katze kommt selten allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lydia Adamson
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reißt. Ein Hund beißt ein Pferd. Ein Pferd beißt einen Tierarzt. Ein Trainer trifft die falsche Wahl, was Pferd und Reiter angeht. Aber ich war immer schon ein guter Krisen-Bewältiger.«
    »Ist das der Grund, warum Sie sich im Winter viel zu dünn anziehen?« fragte ich.
    »Genau. Leichte Kleidung bedeutet schnellere Bewegungsfähigkeit«, erwiderte er und lächelte sein jungenhaftes Lächeln, wobei sich sein Gesicht in unzählige Falten legte.
    »Kommen Sie oft nach Manhattan?« wollte ich wissen.
    »Ungefähr einmal die Woche.«
    »Wo wohnen Sie?«
    »Ich habe ein kleines Zimmer. Etwa zehn Minuten von hier.«
    Ich schaute auf seine Hände, die mit der Kaffeetasse spielten. Ich konnte mir diese Hände vorstellen, wie sie einen Halfterstrick hielten. Erst vor einer Stunde hatte ich beobachtet, wie diese Hände sanft über einen Pferdelauf gestrichen hatten, um nach einer Schwellung zu suchen. Eine seiner Hände löste sich von der Tasse. Er streckte den Arm über den Schreibtisch hinweg aus und bot mir die Hand dar, die Innenfläche nach oben. Ich legte meine Hand in seine.
     
    Ich stand vor der Tür meines Schlafzimmers und beobachtete den schlummernden Charlie Coombs. So schnell war ich noch nie mit einem Mann ins Bett gegangen, egal, wie anziehend er auf mich gewirkt hatte – von einem kurzen Abenteuer unmittelbar nach meiner Scheidung abgesehen. Aber das zählte wirklich nicht.
    Der Sex hatte mächtig viel Spaß gemacht. Wir waren beide sehr gut gewesen. Vielleicht, ging es mir durch den Kopf, eröffnete mir mein ›mittleres Alter‹ eine neue Welt der Erotik. Ich lachte über meine Dummheit.
    Oben auf dem Bücherschrank glühten plötzlich zwei Lichtpunkte auf. Ich zuckte zusammen. Dann lächelte ich. Es war Pancho, hellwach und in gewohnter Manier auf der Flucht vor dem bösen Feind. »Faß, Pancho«, flüsterte ich ihm zu und zeigte auf Coombs.
    Ich lehnte an der Wand und schloß die Augen. Der Putz war kalt, aber ich spürte es kaum, denn ich war glücklich. Es war lange her, daß ich wirkliche, aufrichtige Intimitäten erlebt hatte – das Gefühl, daß mein Partner nicht nur an sich selbst dachte. Charlie hatte von sich behauptet, altmodisch zu sein. Als wir uns liebten, hatte er mir immer wieder gesagt, wie gut, wie schön, wie einzigartig ich sei. Es war nett und charmant und zeitlos und berauschend – wie ein doppelter Napoleon-Brandy nach einem Stück Schokoladentorte.
    Ich hatte festgestellt, daß Charlie die Fähigkeit besaß, hohle Phrasen glaubwürdig klingen zu lassen. Das war eine Gabe, die eigentlich ich hätte besitzen müssen. Aber seltsamerweise war das nicht der Fall. Doch eben diese Fähigkeit machte eine große Schauspielerin aus: die Gabe, einer Fiktion den Anschein von Wirklichkeit zu verleihen. Eine Rolle so zu spielen, daß die Fiktion sich in eine Scheinrealität verwandelt, die das Publikum dazu bringt, die Welt mit anderen Augen zu sehen.
    Wieder erblickte ich einen Lichtblitz in der Dunkelheit. Dann war das Augenpaar auf dem Bücherschrank verschwunden. Ich ließ den Blick durch das stockdunkle Schlafzimmer schweifen und hörte irgendwo ein wildes, aber sehr leises Klappern.
    Ganz kurz sah ich Panchos Augen funkeln, verlor sie aus dem Blick, sah sie erneut. Seine Augen schienen aufzuleuchten und zu verlöschen wie die Lichter einer wildgewordenen Ampel. Dann erkannte ich, was da vor sich ging. Der arme, liebe, verrückte Kater spielte tatsächlich mit dem schlafenden Charlie Coombs. Pancho sprang von einem Ende des Bettes zum anderen, dann auf den Boden und dann auf den Bücherschrank – und dann ging es wieder von vorn los. Das alles geschah so schnell, so leise und elegant, daß der schlafende Charlie nicht gestört wurde. Es war ein gutes Omen. Ich ging wieder zu Bett.
     
    Die Tage wurden länger, und der Winter verlor allmählich an Kraft. Ich ergatterte eine kleine, aber lukrative Rolle in einem deutschen Avantgarde-Film, der ausgerechnet in Bayonne, New Jersey, gedreht wurde. Meine Agentin nahm ›vielversprechende‹ Verhandlungen mit ›einigen Leuten‹ auf, um mir die Rolle der Gattin in einer Broadway-Aufführung von Pinters Heimkehr zu verschaffen. Ich bekam das Angebot, den Sommer über an einem kleinen Theater einen Schauspielkursus zu leiten. Und ich bekam zwei neue Catsitter-Aufträge; der eine war ein überbezahlter Job, bei dem ich eine riesige, ein wenig exzentrische Siamkatze an neun aufeinanderfolgenden Wochenenden besuchen und füttern mußte,

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