Eine Katze kommt selten allein
während die Besitzer des Tieres eine Reihe von Spritztouren unternahmen. Ach ja, die Reichen. Auf jeden Fall mag ich deutsche Filme, ich mag Pinter, ich mag Schauspielunterricht, und ich liebe Siamkatzen. Insofern konnte ich mich wirklich nicht beklagen.
Und Charlie Coombs verbrachte inzwischen jede Woche mindestens zwei, drei Nächte in meiner Wohnung.
Der ›Zauber der Liebe‹, wie man so schön sagt, blieb ungebrochen. Es war seltsam. Wir sprachen nie über berufliche Dinge – Theater, Katzen, Pferde. Statt dessen unterhielten wir uns zwischen Spiegeleiern und Bratkartoffeln leidenschaftlich über die verrücktesten Sachen: Kerzen, Blitzlichter, Katzen mit Tigerstreifen, vegetarische Katzen, Cheeseburger, Stiefel, Onkel und Tanten und unser Verhältnis.
Wir reden solchen Blödsinn, weil wir so sehr voneinander gefesselt waren, daß wir nichts kaputt machen wollten. Ich war so verrückt auf Charlie, daß es mir sogar Spaß machte, ihm morgens seinen Kaffee zu kochen. Endlich lebte ich das Leben, das ich schon zwanzig Jahre früher hätte leben sollen.
Es war wunderbar.
Bis der große Knall kam, am ersten Montag im März. Charlie traf keine Schuld. Aber mich. Denn wie aus dem Nirgendwo tauchte ein Gesicht, ein Schatten aus der Vergangenheit auf und nahm mich mit.
Zum großen Knall kam es folgendermaßen: Ich hockte auf dem Fußboden des Wohnzimmers und war damit beschäftigt, Bushy zu bürsten. Wegen des dichten Fells ist es gar nicht so einfach, eine Maine-Coon wie Bushy zu striegeln, doch das Fell ist eine Kleinigkeit im Vergleich zur Katze als solcher. Bushy hegte eine besonders tiefe Abneigung gegen das Bürsten. Er führte sich auf, als würde er jeden Augenblick davonflitzen; also mußte er kräftig festgehalten werden – was wiederum zur Folge hatte, daß er sich anstellte, als würde er buchstäblich zu Tode gefoltert.
Als ich endlich mit ihm fertig war und auf meine perfekt gestriegelte Katze hinunterblickte, kam mir eine blitzartige Erinnerung – so klar und deutlich und intensiv, daß ich wie ein Schulkind die Hände faltete.
Ich erinnerte mich plötzlich daran, wie ich zum ersten Mal Harry Starobin beim Striegeln einer seiner Himalayan-Katzen zugeschaut hatte.
Harry hatte die Katze so schnell und geschickt gestriegelt, mit einer so unglaublichen Verbindung aus Sanftheit, Kraft und Genauigkeit, daß ich damals nicht fähig gewesen war, auf eine Frage zu antworten, die Harry mir während des Striegelns gestellt hatte. Ich war von der perfekten Harmonie zwischen Katze und Mensch wie hypnotisiert gewesen.
Die Erinnerung verblaßte, wie es stets der Fall ist, und die Leere wurde von einem tiefen Gefühl der Reue ausgefüllt, als hätte Harry Starobin sich aus der Asche auf dem Zufahrtsweg vor dem Anwesen seiner Witwe erhoben und würde eine bittere Anklage aussprechen: Du, Alice Nestleton, hast bist Schuld daran, daß ich in Vergessenheit gerate.
Ich konnte Harrys faltiges, zerknittertes, glückliches Gesicht sehen. Ich konnte ihn reden hören. Ich konnte ihn in seinen grünen Stulpenstiefeln herumlaufen sehen.
Die groteske Erscheinung war so real, daß ich wirklich und wahrhaftig mit Harry zu reden anfing. Ich erzählte ihm, daß Jo und ich keine andere Wahl gehabt hätten, als die Suche nach seinen Mördern aufzugeben; man hätte uns beinahe ermordet. Aber zu wem redete ich da eigentlich? Zu Bushy? Zu Pancho?
Das Telefon klingelte. Ich beachtete es nicht. Ich ging ins Schlafzimmer und legte mich hin. Als das Telefon nach einer Weile wieder zu klingeln begann, ließ ich es klingeln. In diesem Augenblick waren mir alles und jeder vollkommen gleichgültig.
Als ich das Gesicht in die Kissen drückte, konnte ich spüren, daß Charlie Coombs vor kurzer Zeit in diesem Bett gewesen war. Hier hatten wir uns geliebt, hier hatte Charlie geschlafen. Ich drehte mich auf die Seite und dachte voller Bitterkeit daran, daß mein Leben nun aus Sex mit Charlie und Kaffee kochen für Charlie und Wohnung aufräumen bestand, wenn Charlie gegangen war.
Und das war’s dann: Die Illusion von der glücklichen Hausfrau verflüchtigte sich. Ich erkannte, daß eine einzige Erinnerung an Harry Starobin das Leben zerstört hatte, das für mich bis jetzt der Gipfel der Glückseligkeit gewesen war.
Als ich mich auf die andere Seite drehte, wurde mir klar, daß ich nie zuvor eine so spannungsvolle Erregung, ein so intensives Lebensgefühl verspürt hatte wie in den wenigen Tage meiner Suche nach Ginger Mauch und der
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