Eine Katze kommt selten allein
Hufe.
Alles war viel zu schnell vorüber. Bald ritten wir zurück zum Stallgelände. Charlie führte mich in die Stallungen und zeigte mir, wie die vor Schweiß dampfen- den Pferde abgesattelt, abgerieben und gestriegelt wurden; anschließend legte man ihnen Decken auf und führte sie vor den Ställen an der Leine herum. Charlie stellte mich den Stallburschen und Reitern und Stallkatzen und Hunden vor, die außerhalb und im Innern der Ställe frei herumliefen. Er zeigte mir die Pferde, die an diesem Morgen nicht trainiert worden waren, und erlaubte mir, sie mit Äpfeln oder Zuckerwürfeln zu füttern. Er wies auf die Fütterungs- und Gesundheitsprobleme hin. Schließlich führte er mich zurück in sein unordentliches Büro, reichte mir eine Tasse Kaffee und ein Stück Blätterteig und bat mich zu warten, bis er mit der morgendlichen Arbeit fertig sei.
Eine Stunde später kam er zurück; das Morgentraining war beendet. Jetzt sah Charlie genauso aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte – zu dünn angezogen, breitschultrig und mit zerzaustem Haar.
Aber heute trug er Stiefel.
»Wo sind Ihre roten Schuhe?« fragte ich im Scherz.
»Wenn ich jemanden wirklich beeindrucken will, trage ich die Dinger nicht«, erwiderte er.
»Um ehrlich zu sein, ich fand die Schuhe sehr attraktiv.«
»Verflixt«, sagte er in gespieltem Zorn. »Ich mache immer alles falsch!« Er nippte an seiner Kaffeetasse; dann sagte er: »Ich soll Sie von Jo grüßen.«
»Haben Sie Jo getroffen?«
»Nein, nur mit ihr telefoniert. Ich habe sie angerufen und um Erlaubnis gebeten, Sie anrufen zu dürfen.«
»Du meine Güte.« Ich lachte. »Wie altmodisch.«
»Ich bin in fast jeder Hinsicht altmodisch. Jedenfalls hat Jo mir gesagt, daß Sie die Suche nach Ginger Mauch aufgegeben haben.«
»Das stimmt. Wir haben aufgegeben.« Mir fiel auf, auf welche Weise er mich anschaute und wie aufmerksam er mir zuhörte. Ich fühlte mich geschmeichelt und strich mir über das Haar.
»Jo hat mir erzählt, ein betrunkener Autofahrer hätte Sie beide beinahe getötet«, sagte er.
»Es war knapp. Sehr knapp.«
»Ich sehe die Narbe«, sagte Coombs und zeigte auf meine Stirn. Ich berührte sie kurz und zog dann die Hand weg. Ich spielte mit dem Blätterteig-Teilchen, das ich noch nicht angerührt hatte. Es war schön, hier bei Coombs zu sitzen. Seine Gesellschaft war mir sehr angenehm. Seine energische, mitunter schroffe Art wurde durch eine schwer zu beschreibende Jungenhaftigkeit gemildert. Vielleicht lag es daran, daß er mit Pferden arbeitete.
Er beugte sich über den Schreibtisch ein kleines Stück zu mir vor. »Sind Sie eigentlich eine berühmte Schauspielerin?«
»Ich fürchte, nein. Als Catsitterin bin ich berühmter.«
»Ich meine… müßte ich Sie kennen? Hätte ich Sie in einem Film oder auf der Bühne sehen müssen?«
»Wenn Sie im April 1985 zufällig in Chapel Hill in North Carolina gewesen sind, hätten Sie miterleben können, wie ich eine sehr achtbare Hedda Gabler gespielt habe. Seitdem ist es mit der Achtbarkeit nicht mehr besonders weit her.«
»Mein Vater hat immer gesagt«, erwiderte Coombs trocken, »daß man achtbar sein muß, wenn man es zu etwas bringen will. Aber was wissen Väter schon.«
»Was wissen Väter überhaupt ?«
Er gab keine Antwort auf meine eigenartige Frage; statt dessen blickte er für einen Augenblick traurig vor sich hin. Dann, von einem Moment zum anderen, schlug seine Stimmung wieder um, und er lachte. »Soll ich Ihnen noch ein paar Pferdegeschichten erzählen?«
Ich lehnte mich zurück und lächelte. »Erzählen Sie mir, was immer Sie mir erzählen möchten«, erwiderte ich. Dann wurde mir klar, daß wir flirteten. Das wollte ich gar nicht. Was wollte ich eigentlich?
Er spielte mit seiner Kaffeetasse. »Ich hätte Sie nicht so kurzfristig auffordern sollen, hierher zu kommen«, entschuldigte er sich.
»Ehrlich gesagt, mag ich kurzfristige Aufforderungen. Man meint dann immer, daß es irgendeine Krise gibt – und dabei gibt’s gar keine. Man bekommt gleichzeitig Aufregung und Erleichterung geboten.«
»In meinem Fall gab es eine Krise«, sagte er.
»Was für eine?«
»Sie. Ich wollte Sie sehen.«
»Jetzt haben Sie mich gesehen.«
»Ja, die Krise ist vorbei. Aber ich habe Krisen immer schon gut gemeistert. Deshalb bin ich Trainer geworden. Beim Pferdesport dreht es sich fast ausschließlich um Krisen. Stets passiert irgend etwas Dummes oder sogar Schlimmes. Ein Pferd wirft seinen Reiter ab. Ein Sattelgurt
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