Eine Katze kommt selten allein
kennengelernt hatte; Leute, die genauso arrogant und aufgeblasen wie dieser Waring gewesen waren, selbst wenn sie nur ein Millionstel seines Vermögens besessen hatten.
»Was ist mit dir, Alice? Du bist so blaß. Du wirst mir doch nicht etwa krank?« Carla beugte sich zu mir vor; ihre Stimme war besorgt.
Ich log.
»Nein, mir geht es gut. Es ist nur… ich habe eine Verabredung vergessen. Eine wichtige Verabredung. Ich muß jetzt leider gehen. Ruf mich an. Ich lasse mir die Sache mit der Rolle noch einmal gründlich durch den Kopf gehen.«
Damit stand ich auf und ging.
Am nächsten Morgen wartete Malacca in einem alten Kombi auf mich. Die Ladefläche war vollgepackt mit Ausrüstungsgegenständen für Pferde, von denen ich die meisten nicht identifizieren konnte. Malacca war ein kleiner Mann, offensichtlich ein Ex-Jockey. Er fuhr wie ein Irrer – Stoppschilder und Ampeln kannte er anscheinend nicht – und erzählte mir dabei seine Lebensgeschichte auf seltsame Weise: Einem plötzlichen, wilden Wortschwall folgte Totenstille; dann kam der nächste Ausbruch.
Als wir Charlie Coombs’ Stallgelände erreichten, wartete der Trainer bereits auf mich. Er lächelte, und bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte, setzte er mir eine Reitkappe auf und schnallte den Riemen unter meinem Kinn fest, als wäre ich ein Kind. Dann nahm er mich bei der Hand und führte mich zu zwei gesattelten Ponys, die gelassen dastanden.
»Das ist Rose«, sagte er und zeigte auf das größere Tier.
Ich hatte seit fünfzehn Jahren nicht mehr auf einem Pferd gesessen, doch Rose war so sanftmütig, daß es mir vorkam, als säße ich auf einem Kissen. Coombs schwang sich auf das andere Pony, und wir ritten los. Ich brauchte ein paar Sekunden, um mich zu orientieren, weil alles so schnell gegangen war; dann aber bemerkte ich, daß sich um uns herum Rennpferde tummelten – Coombs’ Galopper, die auf dem Weg zur Rennbahn waren, um das morgendliche Training zu absolvieren.
Als wir uns inmitten der Rennpferde in Richtung Bahn bewegten, wurde mir mulmig. Die Pferde tänzelten, schnaubten und kamen ganz dicht an mein Pony heran. Einige schauten irgendwie verschlagen drein, als würden sie jeden Moment hochsteigen oder lospreschen, und ich hörte das monotone Gemurmel der Assistenztrainer, die ihre Pferde in spanischer Sprache zu beruhigen versuchten. Hin und wieder kam eins der Rennpferde so nahe an Rose heran, als wollte es mit meinem Pony Kontakt aufnehmen. Rose ließ das alles gelassen über sich ergehen; ich jedoch saß völlig verkrampft auf Roses Rücken.
Es war immer noch dunkel, doch am Horizont erschien der erste dünne Silberstreif. Charlie lenkte sein Pony nahe an meines heran. »Alles in Ordnung?« fragte er. Ich nickte. Er lächelte. »Rose kann Sie gut leiden«, sagte er. Gott sei Dank, dachte ich.
Als wir an die hochgeklappte Schranke zur Rennbahn gelangten, blieben wir stehen, und die Rennpferde wurden an uns vorbei hintereinander auf die Strecke geritten. Charlie gab jedem seiner Assistenztrainer Anweisungen – galoppiere diese oder jene Strecke; laß dein Pferd dieses oder jenes Tempo gehen. Dann trotteten unsere beiden Ponys von der Schranke fort und schauten gemeinsam mit uns über den Zaun hinweg dem Training zu.
»Woher wissen die Reiter, wie schnell die Pferde sind?« Ich konnte kaum glauben, was für enorme Geschwindigkeiten Charlie von seinen Trainern verlangt hatte. Sie hatten nicht einmal Stoppuhren dabei – und falls sie doch welche hatte, war es noch zu dunkel, um die Uhren lesen zu können.
»Sie haben die Uhren im Kopf«, erwiderte er.
Inzwischen umkreisten sehr viele Rennpferde in unterschiedlichem Tempo die Bahn. Welches Charlies Pferde waren, konnte ich nicht sehen; doch an der Art und Weise, wie Charlie die Tiere beobachtete, erkannte ich genau, wo sich seine Galopper befanden und was sie gerade taten. Dann schaute ich aufmerksamer hin. Das Geräusch der trommelnden Hufe auf den Geläuf klang wie ein wunderbar präzises Perkussionsinstrument. Ich konnte die weißen Atemwolken vor den Mäulern der Pferde sehen. Ich bewunderte den Mut und die Geschicklichkeit der Reiter, die so kraftvoll-elegant in den Steigbügeln standen, tief über den Hals der Tiere gebeugt. Die Szenerie war von eigentümlicher Schönheit – voller Energie, Kraft und Harmonie. Ich beugte mich so weit im Sattel vor, daß ich den Kopf auf Roses Schultern legen konnte. Ich schloß die Augen und lauschte dem rhythmischen Trommeln der
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