Eine Kerze für Sarah - und andere Geschichten, die das Herz berühren
dekoriert. Gelbe Frühlingskörbe hingen über den Tischen, Hamster in Käfigen raschelten in Papierschnitzeln und orangefarbene Ringelblumen ringelten sich über das Fenstersims.
Die Lehrerin, Mrs. Lake, stand vor ihrer Klasse. Ihr kupferrotes Haar war in derselben Art frisiert, wie Jackie Kennedy es tat, und ihre freundlichen blauen Augen funkelten. Aber es waren ihre Tropfenohrringe, die Lauri an diesem Tag besonders auffielen – goldene Tränen mit elfenbeinfarbenen Perlen.
„Selbst von meinem Platz in der letzten Reihe aus“, erinnerte sich Lauri, „konnte ich diese Ohrringe im Sonnenlicht funkeln sehen.“
Mrs. Lake erinnerte die Klasse daran, dass an diesem Tag Elternsprechtag sei und schrieb die Termine an die Tafel, an denen die einzelnen Familien an der Reihe waren.
Lauris Name befand sich am Ende der nach dem Alphabet geordneten Liste. Aber das war egal, denn trotz aller Erinnerungsbriefe und obwohl die Lehrerin mindestens einmal angerufen hatte, würden ihre Eltern nicht kommen.
Lauris Vater war Alkoholiker und in diesem Jahr hatte sich sein Alkoholkonsum noch gesteigert. An vielen Abenden hörte Lauri vor dem Einschlafen die laute, nuschelnde Stimme ihres Vaters, das Schluchzen ihrer Mutter, heftiges Türschlagen und das anschließende Klappern der Bilder an den Wänden.
Vor dem vorhergehenden Weihnachtsfest hatten Lauri und ihre Schwester all ihr Geld gespart, das sie das Jahr über beim Babysitten verdient hatten, und davon ihrem Vater einen Schuhputzkasten gekauft. Voller Vorfreude hatten sie das Geschenk in rot-grünes Papier eingewickelt und ein goldenes Band darum gebunden. Als sie es ihm dann am Weihnachtsabend überreichten, sah Lauri in betäubtem Schweigen zu, wie er es zornig durch das Wohnzimmer schleuderte. Das Geschenk war in drei Stücke zerbrochen.
Und nun beobachtete Lauri den ganzen Tag, wie jedes Kind gemeinsam mit seinen Eltern das Lehrerzimmer betrat. Durch die geschlossene Tür waren die unterdrückten Stimmen der Eltern, die Fragen stellten, der Kinder, die nervös kicherten, und von Mrs. Lake, die Rede und Antwort stand, zu hören. Anschließend beobachtete sie, wie die Eltern mit ihren Söhnen oder Töchtern stolz das Zimmer wieder verließen. Lauri stellte sich vor, wie es wohl sein würde, wenn ihre Eltern sie zu diesem Gespräch begleiteten.
Als schließlich alle Namen aufgerufen worden waren, öffnete Mrs. Lake die Tür und winkte Lauri heran. Still schlüpfte Lauri ins Zimmer und setzte sich auf einen Klappstuhl. Dem Stuhl gegenüber stand ein Pult, auf dem die Akten aller Schüler lagen. Neugierig beobachtete sie, wie Mrs. Lake die Akten durchsah und lächelte.
Verlegen, dass ihre Eltern nicht gekommen waren, faltete Lauri die Hände und sah hinab auf das Linoleum. Daraufhin rutschte Mrs. Lake mit ihrem Stuhl neben das niedergeschlagene Mädchen und nahm Lauris Kinn in die Hand, damit sie ihr in die Augen sehen konnte.
„Zuerst einmal“, begann die Lehrerin, „möchte ich dir sagen, dass ich dich sehr lieb habe.“
Lauri hob den Blick. In Mrs. Lakes Gesicht entdeckte sie Gefühle, die sie nur selten erfahren hatte: Mitgefühl, Einfühlungsvermögen, Zärtlichkeit.
„Zweitens“, fuhr die Lehrerin fort, „es ist nicht deine Schuld, dass deine Eltern heute nicht hier sind.“
Wieder sah Lauri Mrs. Lake ins Gesicht. Niemand hatte je so zu ihr gesprochen. Niemand.
„Drittens“, sprach sie weiter, „dieses Gespräch steht dir zu, ob deine Eltern nun da sind oder nicht. Du verdienst es zu hören, wie gut du dich machst und dass ich dich für ein prachtvolles Mädchen halte.“
In den folgenden Minuten führte Mrs. Lake ein Elterngespräch nur mit Lauri. Sie zeigte Lauri ihre Noten. Sie ging mit ihr ihre Arbeiten und Projekte durch, lobte ihre Bemühungen und bestätigte sie in ihren Stärken. Sie hatte sogar einige Zeichnungen in Wasserfarbe aufgehoben, die Lauri im Kunstunterricht gemalt hatte.
Lauri konnte nicht genau sagen, wann, aber an irgendeinem Punkt in diesem Gespräch vernahm sie die Stimme der Hoffnung in ihrem Herzen. Und irgendwo setzte eine Veränderung bei ihr ein.
Mrs. Lakes Gesicht verschwamm vor ihren Augen, da sie die Tränen nicht mehr zurückhalten konnte, nur ihre Tropfenohrringe aus Perlen konnte sie noch deutlich erkennen. Die störenden Eindringlinge in der Austernschale hatten sich in eine wunderschöne Perle verwandelt.
In diesem Augenblick erkannte Lauri zum ersten Mal in ihrem Leben, dass sie liebenswert war.
Während
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