Eine Kerze für Sarah - und andere Geschichten, die das Herz berühren
ihn mit einer Hand umfassen und dabei mit dem Mittelfinger meinen Daumen berühren konnte. Der kalte Texaswind fegte durch die heruntergefallenen Blätter und ließ mich meinen Mantelkragen hochschlagen. Es gibt nichts Kälteres als einen Präriewind, vor allem auf einem Friedhof.
„Ein besonderer Baum“, murmelte ich vor mich hin, „mit einer besonderen Aufgabe.“ Ich sah mich um. Der Friedhof war mit vielen Ulmen eingefasst, aber es gab keine Eichen. Überall waren Grabsteine zu finden, aber keine Bäume. Nur dieser eine. Ein besonderer Baum für einen besonderen Mann.
Etwa drei Jahre zuvor hatte mein Vater eine stetig zunehmende Schwächung seiner Muskeln bemerkt. Es hatte in seinen Händen begonnen. Dann hatte er es in den Waden gespürt und als Nächstes waren seine Arme immer dünner geworden.
Er hatte daraufhin mit meinem Schwager, einem Arzt, über seinen Zustand gesprochen und dieser hatte ihn sofort zu einem Spezialisten geschickt. Der wiederum hatte eine Reihe von Tests durchgeführt – Bluttests, neurologische und Muskeltests – und war schließlich zu der Diagnose gekommen, dass mein Vater die Lou-Gehrig -Krankheit hatte. Eine Krankheit, die einen Menschen unweigerlich zum Krüppel macht. Niemand kennt die Ursache oder ein Heilmittel. Das einzig Sichere daran ist, dass sie sehr grausam ist und genau vorherbestimmbar verläuft.
Ich sah nun auf das Stückchen Erde, das eines Tages das Grab meines Vaters sein würde. Er wollte immer unter einer Eiche begraben werden, darum hat er auch diesen Baum gekauft. „Ich habe ihn extra bestellt“, hatte er geprahlt. „Und ich brauchte eine Sondergenehmigung der Stadtverwaltung, um ihn hier anpflanzen zu dürfen.“ (Das war nicht schwierig in dieser staubigen Stadt auf den Ölfeldern, wo jeder jeden kennt.)
Der Kloß in meiner Kehle wurde immer dicker. Ein anderer Mensch wäre vielleicht zornig geworden, hätte aufgegeben. Aber nicht mein Vater. Er wusste, dass seine Tage gezählt waren und darum fing er auch an, sein Haus in Ordnung zu bringen.
Der Baum war nur eine seiner Vorbereitungen. Er brachte für meine Mutter Verbesserungen im und ums Haus an, indem er zum Beispiel einen Rasensprenger installierte, einen elektrischen Garagenöffner einbaute und die Dachrinne strich. Er überarbeitete sein Testament. Er überprüfte die Versicherungen und seine Pensionsansprüche. Er legte etwas Geld für die Ausbildung seiner Enkel zurück. Er plante seine Beerdigung. Er kaufte ein Grab für sich und meine Mutter. Er bereitete seine Kinder auf seinen Tod vor. Und vor allem kaufte er den Baum. Eine lebendige Eiche. (Mit der Betonung auf „lebendig“.)
Letzte Taten, letzte Stunden, letzte Worte.
Sie spiegeln ein gutes Leben wider.
Die letzten Stunden sind angebrochen. Die sanfte Flamme seiner Kerze wird immer schwächer. Er liegt in Frieden. Sein Körper stirbt, aber sein Geist ist noch lebendig. Aufstehen kann er nicht mehr. Seine letzten Tage will er zu Hause verbringen. Es wird nicht mehr lange dauern. Schon bald wird der kalte Zug des Todes die flackernde Kerze zum Verlöschen bringen und es wird vorbei sein.
Ein letztes Mal betrachtete ich die schlanke Eiche, berührte sie, als hätte sie meine Gedanken gehört. „Wachse“, flüsterte ich. „Wachse zu einem starken Baum heran. Werde groß. Du birgst einen wertvollen Schatz.“
Auf meiner Heimfahrt dachte ich über diesen Baum nach. Obwohl er im Augenblick noch schwach war, wird er im Laufe der Jahrzehnte wohl stark werden. Obwohl im Augenblick noch schlank, wird sein Stamm im Laufe der Jahre dicker werden. Seine letzten Jahre werden seine besten sein. Genau wie die meines Vaters. Genau wie die meines Herrn. „Es ist so viel leichter, wie Jesus zu sterben, wenn man sein Leben wie er gelebt hat.“
„Wachse, junger Baum.“ Tränen traten in meine Augen. „Werde stark. Du birgst einen wertvollen Schatz.“
Als ich nach Hause kam, war er wach. Ich beugte mich über sein Bett.
„Ich habe nach dem Baum gesehen“, sagte ich ihm. „Er wächst.“
Er lächelte.
Max Lucado
Von Kopf bis Fuß
Nach meinen vier Kindern und nachdem ich die Fünfundzwanzig weit überschritten habe, zeigt mein Körper nun erste Spuren dieser Belastungen. Als wir dann vor einiger Zeit Urlaub machten, war ich – ich gebe es zu – eifersüchtig auf die jungen Mädchen mit ihren flachen Bäuchen, die sich am Pool vergnügten.
Als die Kinder ihre Badesachen herausholten, blickte ich meinen Mann Andy flehend an.
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