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Eine Kiste explodierender Mangos

Eine Kiste explodierender Mangos

Titel: Eine Kiste explodierender Mangos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mohammed Hanif
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Monsun?“, fragt Obaid, abgelenkt vom Prasseln des Regens am Fenster.
    â€žMonsun ist was für die Leute in der Ebene. Hier ist es nur Regen. Er kommt und geht.“

Die Mango-Party

Neunundzwanzig
    D ie erste Monsunböe traf die Krähe im östlichen Pandschab, auf der falschen Seite der pakistanischen Grenze. Sie war gerade dabei, sich an einem gelben Meer von Senfblüten zu stärken. Sie hatte einen angenehmen Sommer verbracht und war fett geworden. Sämtliche Überfälle von Brahminenweihen hatte sie auch überlebt. Die waren die unangefochtenen Herrscher der Gegend und benahmen sich, obwohl sie wie Adler aussahen, wie Geier. Ungeachtet ihres erlauchten Namens zeigten sie keinerlei Interesse an der üppigen Vegetation. Stattdessen machten sie Jagd auf gemeine Krähen wie unsere Besucherin von jenseits der Grenze. Die Krähe schrieb es ihrer eigenen Klugheit zu, dass sie überlebt hatte, aber der Fluch, dessen Trägerin sie war, sah einen dramatischeren Tod für sie vor. Bei lebendigem Leibe von einer Bande gieriger Weihen gefressen zu werden, denen jegliche Achtung vor Diätvorschriften fehlte, war nicht ihr Schicksal.

    E twa zweihundert Kilometer von dem Senffeld entfernt, in Zelle 4 der Festung von Lahore, legte die Blinde Zainab gerade ihren Gebetsteppich zusammen, als sie ein Rascheln vernahm. Es kam von einer kleinen Schlange, wahrscheinlich nicht dicker als ihr Mittelfinger, aber Zainabs Ohren registrierten die kaum hörbare Bewegung sofort. Sie erstarrte für eine Sekunde, dann zog sie ihre Sandale aus und wartete, bis die Schlange sich wieder bewegte. Wie sie es schon als Kind gelernt hatte, schlug sie erst zu, als sie ihr Ziel präzise orten konnte. Sie tötete die Schlange mit drei gezielten Schlägen. Die Sandale noch in der Hand, blieb sie ruhig stehen, bis ihre Nase einen Hauch vom Fleisch der toten Schlange auffing. Der Geruch ihres Blutes breitete sich in Zainabs Verlies aus. Ihre Kopfschmerzen kehrten mit Macht zurück, zwei unsichtbare Fäuste hämmerten mit zermürbender Monotonie gegen ihre Schläfen. Sie sank gegen die Mauer ihrer Zelle, warf die Sandale von sich und fluchte leise. Sie verfluchte den Mann, der sie in diesen tiefen Kerker geworfen hatte, wo es niemanden gab, mit dem sie reden konnte, und wo sie gezwungen war, unsichtbare Geschöpfe zu töten, um zu überleben. „Möge dein Blut zu Gift werden. Mögen Würmer deine Eingeweide zernagen.“ Die Blinde Zainab presste die Handflächen gegen ihre Schläfen.
    Ihr Flüstern reiste durch die uralten Luftschächte der Festung und entfloh, bewegte sich mit dem tropischen Tiefdruckgebiet über dem Arabischen Meer auf die Grenze zu.

    D ie Monsunwinde riefen eine gewisse Rastlosigkeit in der Krähe hervor, und sie stieg in größere Höhen auf und segelte mit dem Wind. Die Luft war schwer von Feuchtigkeit, sodass die Krähe, obwohl sie den ganzen Tag flog, ohne anzuhalten, nicht einmal Durst bekam. Die Nacht verbrachte sie an einer Grenzstation zwischen Indien und Pakistan, wo sie sich an einem Tontopf mit Reispudding labte, den die Soldaten zum Abkühlen in einem Korb an eine Wäscheleine gehängt hatten. Die Krähe schlief auf der Leine sitzend, den Schnabel in den Pudding getaucht. Am nächsten Tag überquerte sie eine unfruchtbare, dürre Landschaft, für die der Monsun nicht mehr als ein leeres Versprechen war. Der Schnabel der Krähe war ausgedörrt. Sie flog langsam, hielt Ausschau nach Hinweisen auf eine Vegetation und landete schließlich an einem verlassenen ausgetrockneten Brunnen, wo sie an einem halbverwesten Spatzenkadaver fraß. Dieses Mittagessen brachte die Krähe beinahe um. Geplagt von Durst und Bauchschmerzen, wich sie von ihrer Route ab und folgte dem Wind, bis sie am Horizont Lichter blinken und Rauchsäulen aufsteigen sah. Abwechselnd zog sie den linken oder den rechten Flügel ein und schleppte sich voran wie ein verwundeter, aber tapferer Soldat. Am Morgen erreichte sie ihr Ziel. Die Lichter erloschen und der Sonnenaufgang brachte den wundervollen Duft überreifer Mangos. Im Sturzflug schoss die Krähe auf den Hain zu. Plötzlich kam aus einer Lehmhütte ein jagdlustiger kleiner Junge mit einer Schleuder gerannt. Noch ehe die Krähe die Flucht ergreifen konnte, traf ein Stein sie am Schwanz, und sie musste sich in Sicherheit bringen. Ihre Rastlosigkeit hatte sich gelegt. Der

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