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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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sie das letzte Mal gesehen? «
    »Ich fürchte, in einem anderen Leben.« Ich schüttelte dem jungen Mann die Hand. »Ich werde das bockige Mädchen nicht erwähnen, das ein verhasstes Partykleid anziehen sollte, oder den Jungen in der blauen Latzhose, der mit seinem ersten Dreirad durch die Küche strampelte. «
    »Ich bin erleichtert«, sagte Peniston.
    »An das Kleid erinnere ich mich gut«, sagte Mary. »Ein Geschenk von Granny, es war grauenhaft gesmokt, wie aus einem Kinderbuch der Fünfzigerjahre. Ich habe gekreischt wie am Spieß und mich glatt geweigert, es anzuziehen; das würde ich auch heute noch tun!« Wir lachten, und ich revidierte meine Meinung von Mary, trotz ihrer abschreckenden Ähnlichkeit mit Andrew. Bridget blickte bei diesem Wortwechsel desinteressiert vor sich hin, und Andrew setzte wieder die beleidigte Miene auf, die ihm wohl zur Gewohnheit geworden war, denn es gab keinerlei Anlass dafür. Aber vielleicht war ja die Erwähnung der Wutanfälle seiner Tochter, der Latzhose seines Erben oder gar der Küche seiner Frau für ihn eine Majestätsbeleidigung. Ich hatte keine Ahnung, und es war mir auch egal.
    Aber die Geschwister überspielten den heiklen Moment mit munterem Geplauder über Alltägliches, und Andrews Taktlosigkeit war bald vergessen. Vermutlich hatten Peniston und seine Schwester schon Übung darin, die Patzer ihres unleidlichen Herrn Papas auszubügeln. Ehrlich gesagt brachte ich Peniston, dem neuen Viscount
Summersby, vorab nicht viel Sympathie entgegen, überlief mich doch schon bei seinem Namen eine Gänsehaut. Aber er schien ein netter Kerl zu sein, das musste sogar ich zugeben, auch wenn er etwas kurz geraten und übergewichtig war und sein freundliches Gesicht nichts Markantes, Attraktives hatte. Aber vielleicht war ich voreingenommen. Die meisten Männer und, soviel ich weiß, auch Frauen hegen für den Nachwuchs der einstigen Geliebten zwiespältige Gefühle, vor allem, wenn sie die Beziehung nicht selbst beendet haben. Wäre es mit rechten Dingen zugegangen, hätten diese Jungen und Mädchen, Verkörperungen eines schrecklichen Fehlurteils der Götter, gar nicht zur Welt kommen dürfen. Aber das ist schließlich nicht die Schuld der Kinder, wie jeder letztendlich begreift. So erging es mir mit Mary Wintour und Peniston Summersby. Die Nachricht von ihrer Geburt schnitt mir wie ein Messer durchs Herz, aber die Gegenwart dieses netten jungen Mannes, dieser angenehmen jungen Frau änderte alles, und sogar ich sah ein, dass ich sie nicht einzig und allein deshalb hassen konnte, weil ihr Vater ein Hohlkopf war und ihre Mutter mir das Herz gebrochen hatte. Die beiden hatten nicht viel von Serena, ähnelten eher ihrem Vater. Aber zum Glück für sie und ihre Zukunftsaussichten schien keiner Andrews besonderen Charme geerbt zu haben.
    Peniston lächelte. »Granny war wahnsinnig aufgeregt, als sie Sie entdeckt hat. Sie ist furchtbar stolz darauf, einen echten Schriftsteller zu kennen. Sie hat alle Ihre Romane gelesen.«
    »Ich fühle mich sehr geschmeichelt. « Was ich durchaus ernst meinte. Auch staunte ich nicht schlecht. Plötzlich kam es mir nicht mehr ganz so unglaublich vor, dass man mich in der Menge entdeckt hatte.
    »Sie sonnt sich in dem Gefühl, einen Literaten unter ihren Bekannten zu haben. Die meisten ihrer Freunde haben die größte Mühe, eine Restaurantrechnung von oben bis unten durchzulesen.« Eine hübsche Frau Anfang dreißig trat zu uns. »Das ist Anne, meine Frau. «
    »Peniston hat recht. Roo ist ganz aus dem Häuschen, dass Sie da sind. Wissen Sie, dass sie alle Ihre Bücher besitzt? Gut möglich, dass sie sie herauslegt, damit Sie sie signieren.«
    »Sie braucht nur ein Wort zu sagen.« Lady Claremonts Interesse an meinen Büchern hieß vermutlich, dass ihr auch meine Person
nicht ganz gleichgültig war. Daher amüsierte es mich umso mehr, dass sie mich in vierzig Jahren zu keiner einzigen Gesellschaft eingeladen hatte, weder hier in Gresham noch in London, und auch nie versucht hatte, wieder Verbindung mit mir aufzunehmen. Was konnte das für Gründe haben, wenn sie von meiner Arbeit wirklich so fasziniert war? An jenem Abend dachte ich in meinem Verfolgungswahn natürlich sofort an Estoril, aber höchstwahrscheinlich irrte ich mich. Hin und wieder begegnet man auch bei Aristokraten einer seltsamen Befangenheit, die nichts Ablehnendes oder Herabsetzendes hat, sondern wohl die Kehrseite der üblichen gönnerhaften Jovialität ist. Die unüberbrückbare

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