Eine Klasse für sich
undurchschaubar. Ich fand ihn jedoch ganz sympathisch, denn er war ohne Anmaßung, Geheimnistuerei oder Dünkel.
»Wie geht’s dir denn so?«, fragte Serena. »Hast du wieder ein Buch veröffentlicht? Eigentlich beschämend, dass ich so uninformiert bin und nachfragen muss.« Man kann sich nach der Tätigkeit eines Künstlers auf eine Art erkundigen, die großzügig klingen mag, aber letztlich doch verrät, wie wenig Wert man ihr beimisst. Die Verachtung steckt in der überschwänglichen Freundlichkeit, vergleichbar mit dem Getue, mit dem jemand, der keine Ahnung von Kindern hat, die Zeichnung eines kleinen Mädchens lobt. Niemand beherrscht das besser als die wirklich Vornehmen.
»Nächsten März kommt ein neues Buch heraus.«
»Da musst du uns unbedingt Bescheid sagen.« Dazu fordern solche Leute ihre Bekannten in den Medien oft auf: »Sag Bescheid, wenn du wieder im Fernsehen kommst«, »sag Bescheid, wenn dein Buch erscheint«, »sag Bescheid, wenn du bei dieser Kultursendung im Radio mitmachst«. Als ob man sich hinsetzen und dreitausend Postkarten schreiben würde. Das ist ein Unding, und sie wissen es genau. Ihre Botschaft lautet im Klartext: »Wir sind an deiner Arbeit nicht genügend interessiert, um darüber Bescheid zu wissen, wenn du uns nicht darauf aufmerksam machst. Wie du weißt, tangiert das unsere Welt nicht, also bitten wir um Nachsicht, wenn wir auch in Zukunft alles verpassen.« Das war von Serena wie von den meisten anderen nicht unfreundlich gemeint, aber dennoch nimmt es mir gelegentlich den Wind aus den Segeln.
Unvermindert freundlich fuhr sie fort: »Wann hast du denn erfahren, dass du heute herkommen würdest? Du hättest dich schon früher melden sollen, dann hättest du zum Dinner kommen können.« Ich erklärte ihr die Situation. Serena zog die Augenbrauen hoch. »Bist du
mit denen befreundet? Er hat sich den Titel Klugschwätzer der Grafschaft erworben, aber vielleicht sind wir ja ungerecht.«
»Nicht unbedingt.«
Sie lachte. »Jedenfalls ist es nett, dich wieder bei uns zu sehen. Hat sich Gresham verändert?«
»Eigentlich nicht. Nicht so sehr wie mein Leben sonst.«
»Eine Reise in die Vergangenheit also.«
»Ich lebe ohnehin gerade in der Vergangenheit.« Das bedurfte einiger Erklärungen. Meine wirkliche Mission verriet ich natürlich nicht, sondern nur, dass Damian wissen wollte, was aus den Frauen unserer gemeinsamen Vergangenheit geworden war, und mich um entsprechende Nachforschungen gebeten hatte, weil er sie alle durch mich kennengelernt hatte.
»Aber warum hast du dich darauf eingelassen? Ist das nicht wahnsinnig zeitaufwendig? Und einen Gefallen bist du ihm ja nicht gerade schuldig.« Sie zog vielsagend die Augenbrauen hoch.
»Ich weiß auch nicht so genau, warum ich mich habe breitschlagen lassen. Erst wollte ich nicht, aber dann habe ich gesehen, dass er im Sterben liegt …« Ich brach ab. Sie war sichtlich schockiert, und ich bedauerte, so damit herausgeplatzt zu sein.
»Im Sterben?«
»Ich fürchte, ja.«
Sie rang um Fassung. »Wie seltsam. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass jemand wie Damian Baxter im Sterben liegen könnte.«
»Leider ist es so.«
»Ach.« Nun hatte sie sich wieder völlig im Griff. »Wie traurig. Und überrascht bin ich auch.«
»Ich glaube, er war immer für Überraschungen gut.«
Serena schüttelte den Kopf. »Der Meinung bin ich nicht. Eher für Aufregung, aber was er getan hat, war meist nicht überraschend, sondern unvermeidlich. Es hat mich nicht gewundert, dass er sich so erfolgreich in die Saison eingeschlichen hat. Genauso wenig, dass er mehr Geld verdient hat als sonst jemand auf dieser Welt. Als ich ihn kennenlernte, wusste ich vom ersten Moment an, dass es so kommen würde. Aber dreißig Jahre vor der Zeit zu sterben …«
»Wieso warst du dir da so sicher?«
Serena dachte einen Augenblick nach. »Ich glaube, weil er immer so zornig war. Menschen, die in ihrer Jugend von einem solchen Zorn umgetrieben werden, explodieren meiner Erfahrung nach irgendwann und verschwinden von der Bildfläche, oder sie haben ungeheuren Erfolg. Als ich hörte, dass er in der City anfing, wusste ich, dass er Millionen scheffeln würde.«
Ich schaffte es nicht, meine Neugier zu zügeln, auch wenn ich mir damit ins eigene Fleisch schnitt. »Hattest du ihn eigentlich gern?«
Sie sah mich an. Sie wusste genau, wie ich das meinte, auch wenn schon viele Jahre vergangen waren, seit es in ihrem oder meinem Leben eine Rolle gespielt hatte.
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