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Eine Klasse für sich

Eine Klasse für sich

Titel: Eine Klasse für sich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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Sinn hatten. Bald werden die meisten dieser Besucher Ascot den Rücken kehren, wahrscheinlich für immer, denn wenn britische Aristokraten einmal die Möglichkeit erhalten, sich einer gesellschaftlichen Verpflichtung zu entziehen, lässt sich die Sache schwer wieder anleiern. Manch einer wird sagen, es sei höchste Zeit gewesen, und die Pferdenarren werden froh sein, dass die Pferde wieder im Mittelpunkt stehen. Ob uns das heutige Ascot noch gefällt oder nicht, damals hatten wir jedenfalls einen Heidenspaß.
    In jenem Jahr hatte ich mich der Familie eines Mädchens namens Minna Bunting angeschlossen. Minnas Vater bekleidete ein Amt im Buckinghampalast und trug einen dieser altehrwürdigen Titel – vielleicht »Schatzmeister der Königlichen Privatschatulle« –, der seinem Inhaber nebst anderen Privilegien eine Parkmöglichkeit in Ascot bot, und dies auf dem Parkplatz für die Mitglieder des königlichen Hofs. Direkt gegenüber dem Haupteingang gelegen, galt er immer als sehr schick, obwohl es sich nur um einen öden Asphaltplatz gleich neben den penetrant riechenden Stallungen handelte, der nur über eine einzige, eigentlich für die Stallburschen gedachte Toilette verfügte. Auf der einen Seite bot eine halb verfallene Scheune etwas Schutz, auf der anderen Seite spendeten ein paar aufgelassene Pony-boxen ein wenig Schatten. Sonst gab es dort nichts als reihenweise Autos, bewacht allerdings von den denkbar freundlichsten Wächtern, was den Parkplatz ungemein aufwertete. So mancher beneidete mich glühend darum, dass ich mein Picknick dort einnehmen durfte, auch wenn die Wucht des Odeurs das Schlucken zuweilen erschwerte.
    Eine Weile waren Minna und ich voneinander recht angetan, auch wenn von stürmischer Leidenschaft nicht die Rede sein konnte. Wir gingen ein paarmal miteinander essen, und ich weiß nicht, warum die Sache letztlich im Sand verlief. Bei Beziehungen, die längst im Nebel der Vergangenheit versunken sind, ist es verblüffend schwer, den eigenen Beweggründen auf die Spur zu kommen. Im Nachhinein
scheinen alle, Freunde, Feinde und Geliebte, ganz nett, jung und angenehm und, ehrlich gesagt, im Grunde einer wie der andere. Was hatten sie als Individuen an sich, was mich vor vierzig Jahren anzog oder lang weilte?
    Wir hatten unser Picknick beendet, und es war Zeit, zur Rennbahn aufzubrechen; gemeinsam schlenderten wir den lorbeergesäumten Weg zum Eingang hinüber. Die Polizei regelte den Verkehr, was sogar schon in jenen relativ verkehrsarmen Tagen notwendig war, und wir mussten stehen bleiben. »Was um Himmels willen ist denn da los?«, fragte Minna.
    Auf der anderen Straßenseite tummelte sich eine Horde aufgeregter Individuen, später Paparazzi genannt. Damals waren es nie sehr viele, eine Handvoll Fotografen von Modemagazinen und der Boulevardpresse; 1968 war das Interesse der Öffentlichkeit an der Kleidung Prominenter rasch befriedigt. Doch an diesem Tag hätte man meinen können, vor unseren Augen fände gleich ein Ereignis von internationaler politischer Bedeutung statt. Wir überquerten die Straße, gingen durch das Tor in den kleinen Hof, wo die organisatorisch Minderbegabten ihr Ansteckschildchen noch am selben Tag kaufen konnten, und strebten der Pforte zum Bereich der königlichen Familie zu. Dort spielte sich etwas ab, was die Fotografen aufs Höchste faszinierte. Manche griffen zu dem damals neuen Trick, die Kamera einfach über den Kopf zu halten und blindlings draufloszuknipsen, auf die leise Chance hin, dass etwas Brauchbares herauskäme.
    Die Schildchen am Revers, im Vollgefühl unserer Zugangsberechtigung, drängten wir uns durch die Menge nach vorn bis zur Ursache des Aufruhrs: Joanna Langley im todschicken Hosenanzug aus weißer Spitze mit den passenden Accessoires, weißen Handschuhen, weißer Handtasche und einem hellen, mit derselben Spitze und weißen Blüten garnierten Hut auf den schimmernden Locken. Sie redete mit Engelszungen auf den Hüter dieses Zugangs ein, einen bulligen Exsoldaten im Bowler. »Tut mir leid, Miss«, sagte er nicht unfreundlich, aber bestimmt, »die Kleiderordnung heißt: Keine Hosen. Daran kann ich nichts ändern. Sogar wenn ich wollte. Nur Röcke. Das ist nun mal Vorschrift.«

    »Aber das ist doch fast ein Rock«, erwiderte Joanna.
    »Ich fürchte, fast reicht nicht, Miss. Wenn Sie jetzt bitte zur Seite treten wollen.« Er winkte uns heran.
    »Hallo!« Ich lächelte Joanna zu. Ich kannte sie noch nicht gut, aber unsere Begegnungen waren bisher immer

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